21.03.2014

Mitgliedsländer dürfen Halter von Pkw mit Lenkrad auf der rechten Seite nicht zum Umbau auf Linkslenkung verpflichten

Die von Polen und Litauen auferlegte Verpflichtung, das Lenkrad von Pkw auf die linke Seite zu versetzen, wenn es sich auf der rechten Seite befindet, verstößt gegen das Unionsrecht. Eine solche Maßnahme geht über das hinaus, was zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit erforderlich ist.

EuGH 20.3.2014, C-61/12
Der Sachverhalt:
Die Mitgliedstaaten dürfen die Zulassung, den Verkauf, die Inbetriebnahme oder die Teilnahme am Straßenverkehr von Fahrzeugen, Bauteilen oder selbständigen technischen Einheiten nicht unter Verweis auf Aspekte des Baus oder der Wirkungsweise oder wegen der Lenkanlage untersagen, beschränken oder behindern, wenn diese den Anforderungen der Rahmenrichtlinie 2007/461 und der Richtlinie 70/3112 entsprechen.

In Polen und in Litauen, Ländern mit Rechtsverkehr, muss für die Zulassung eines Fahrzeugs das Lenksystem auf der linken Seite des Fahrzeugs angebracht sein oder auf diese Seite versetzt werden, wenn es vorher auf der rechten Seite angebracht war. Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass diese Voraussetzung hinsichtlich von Neufahrzeugen gegen die Richtlinien 2007/46 und 70/311 verstößt und hinsichtlich von zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen Fahrzeugen gegen die unionsrechtlichen Bestimmungen über den freien Warenverkehr. Sie hat daher beim EuGH Klage gegen diese beiden Mitgliedstaaten erhoben.

Der EuGH gab der Klage statt.

Die Gründe:
Polen und Litauen haben mit ihren Regelungen zur Position der Lenkanlage in Fahrzeugen gegen das Unionsrecht verstoßen.

Die Richtlinien legen nicht die Position des Fahrerplatzes eines Fahrzeugs fest. Der Unionsgesetzgeber hat den Kraftfahrzeugbauern hierbei einen Spielraum gewährt, den die nationalen Regelungen weder aufheben noch beschränken dürfen. Das in der Richtlinie 70/311 vorgesehene Verbot ist kategorisch und allgemein, wobei der Begriff "Lenkanlage" auch den Fahrerplatz, d.h. die Position des Lenkrads der Fahrzeuge als einen wesentlichen Bestandteil der Lenkanlage, erfasst. Ein gewisses Risiko im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr wurde bereits beim Beitritt Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland - damals die einzigen Mitgliedstaaten mit Linksverkehr - in Kauf genommen.

Die Änderungen, die vorgeschrieben werden können, dürfen sich nicht auf die Versetzung des Fahrerplatzes beziehen, sondern nur auf geringfügige Eingriffe. Ein so weitreichendes Erfordernis würde einen substanziellen Eingriff in die Konstruktion des Fahrzeugs darstellen, was dem Wortlaut und dem Ziel der Richtlinie 70/311 zuwiderliefe. Demzufolge wird die Position des Fahrerplatzes als wesentlichem Bestandteil der Lenkanlage eines Fahrzeugs von der durch die Richtlinien 2007/46 und 70/311 eingeführten Harmonisierung erfasst, so dass die Mitgliedstaaten nicht aus Sicherheitsgründen für die Zulassung eines Neufahrzeugs in ihrem Hoheitsgebiet die Versetzung des Fahrerplatzes des Fahrzeugs auf die der Verkehrsrichtung gegenüberliegende Seite verlangen können.

Was zuvor in einem anderen Mitgliedstaat zugelassene Pkw betrifft, deren Fahrerplatz sich auf der rechten Seite befindet, sind die streitigen Regelungen als Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen anzusehen, die nach dem Vertrag verboten sind. Diese Regelungen haben nämlich die Wirkung, den Zugang von Fahrzeugen, deren Fahrerplatz sich auf der rechten Seite befindet und die rechtmäßig in anderen Mitgliedstaaten hergestellt und zugelassen worden sind, zum polnischen und zum litauischen Markt zu behindern.

Es wäre demgegenüber möglich Maßnahmen zu ergreifen, die den freien Warenverkehr weniger beeinträchtigen und die geeignet sind, das Risiko der Verkehrsteilnahme von Fahrzeugen mit Lenkung auf der rechten Seite erheblich zu verringern (etwa Anbringung zusätzlicher Außenrückspiegel oder Anpassung der Beleuchtungseinrichtungen und der Scheibenwischer). Demnach können die in Rede stehenden Maßnahmen nicht als für die Erreichung des von Polen und Litauen verfolgten Ziels der Verkehrssicherheit notwendig angesehen werden. Diese Maßnahmen sind nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.

Linkhinweis:

  • Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung C 61/12 klicken Sie bitte hier.
  • Für den Volltext der Entscheidung C‑639/11 klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 37 vom 20.3.2014
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