23.11.2012

EGMR-Entscheidung rechtfertigt in Altfällen keine Wiederaufnahme des Verfahrens

Kläger, die mit ihrer Klage vor dem EGMR - anders als vor den deutschen Arbeitsgerichten - Erfolg hatten, können in Altfällen keine Wiederaufnahme des Verfahrens verlangen. Nach § 580 Nr. 8 ZPO findet zwar die Restitutionsklage statt, wenn der EGMR eine Verletzung der EMRK festgestellt hat und das Urteil auf der Verletzung beruht. Dieser Restitutionsgrund ist aber gem. § 35 EGZPO nicht auf Verfahren anzuwenden, die vor dem 31.12.2006 rechtskräftig abgeschlossen wurden. § 35 EGZPO ist auch weder konventions- noch verfassungswidrig.

BAG 22.11.2012, 2 AZR 570/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger war bei der beklagten Kirchengemeinde als Organist eingestellt. Nachdem er sich von seiner Ehefrau getrennt hatte, ging er eine neue Beziehung ein. Die Kirchengemeinde kündigte ihm daraufhin im Jahr 1997 wegen Ehebruchs. Die hiergegen gerichtete Klage hatte das LAG im Jahr 2000 rechtskräftig abgewiesen.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit einer Klage zum EGMR. Dieser stellte mit Urteil vom 23.9.2010 fest, dass die Entscheidung des LAG das Recht des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK verletzt. Das Urteil des LAG lasse nicht erkennen, dass auch dieses Recht bei der Abwägung berücksichtigt worden sei. Mit einem weiteren Urteil sprach der EGMR dem Kläger eine Entschädigung i.H.v. 40.000 € zuzüglich Kosten des Verfahrens zu.

Daraufhin erhob der Kläger eine Restitutionsklage. Hiermit hatte er sowohl vor dem LAG als auch vor dem BAG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das Kündigungsschutzverfahren ist trotz der Entscheidung des EGMR nicht wiederaufzunehmen. Zwar lässt § 580 Nr. 8 ZPO eine Restitutionsklage zu, wenn der EGMR eine Verletzung der EMRK oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf der Verletzung beruht. Dieser Restitutionsgrund ist aber gem. § 35 EGZPO nicht auf Verfahren anzuwenden, die vor dem 31.12.2006 rechtskräftig abgeschlossen wurden. § 35 EGZPO knüpft dabei an die Rechtskraft des Ausgangsverfahrens und nicht an den Zeitpunkt an, zu dem ein endgültiges Urteil des EGMR i.S.d. Art. 44 EMRK vorliegt.

§ 35 EGZPO ist mit diesem Inhalt nicht konventions- oder verfassungswidrig. Weder die EMRK noch deutsches Verfassungsrecht verlangen zwingend, dass ein Urteil des EGMR die Rechtskraft von Zivilurteilen im Ausgangsverfahren beseitigt. Der Gesetzgeber hat sich mit § 35 EGZPO im Rahmen des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums gehalten. Er durfte für "Altfälle" das Vertrauen der im Ausgangsverfahren erfolgreichen Partei in den Bestand des rechtskräftigen Zivilurteils stärker gewichten als das Interesse der unterlegenen Partei, das Verfahren wegen eines festgestellten Konventionsverstoßes wieder aufzunehmen.

Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht. Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.

BAG PM Nr. 83 vom 23.11.2012
Zurück