02.12.2016

Generelles Kopftuch-Verbot in Kitas ist verfassungswidrig

Erzieherinnen in Kindertagesstätten kann es nicht generell untersagt werden, bei der Arbeit ein islamisches Kopftuch zu tragen. Ein Verbot äußerlicher religiöser Bekundungen ist auch in diesem Bereich nur verhältnismäßig, wenn hiervon nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr für den Einrichtungsfrieden und die Neutralität des öffentlichen Einrichtungsträgers ausgeht. Das ist beim bloßen Tragen eines islamischen Kopftuchs nicht der Fall, da hiermit allein noch kein werbender oder gar missionarischer Effekt verbunden ist.

BVerfG 18.10.2016, 1 BvR 354/11
Der Sachverhalt:
Die in der Türkei geborene Beschwerdeführerin ist deutsche Staatsangehörige muslimischen Glaubens. Sie ist seit einigen Jahren als staatlich anerkannte Erzieherin in einer Kindertagesstätte einer baden-württembergischen Stadt beschäftigt.

Das Kindertagesbetreuungsgesetz Baden-Württemberg (KiTaG) verbietet äußere religiöse oder weltanschauliche Bekundungen bei der Arbeit. Hierauf gestützt forderte die Stadt die Beschwerdeführerin auf, während ihrer Arbeit in der Kindertagesstätte kein islamisches Kopftuch mehr zu tragen. Die Beschwerdeführerin kam dem nicht nach. Daraufhin erteilte die Stadt ihr eine Abmahnung.

Die Beschwerdeführerin klagte daraufhin auf Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte. Hiermit hatte sie sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem LAG und dem BAG keinen Erfolg. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde machte sie geltend, dass sie durch diese Entscheidungen in ihren Grundrechten auf Religions- und Religionsausübungsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt werde. Das Bundesverfassungsgericht bejahte eine Grundrechtsverletzung, hob die angegriffenen Entscheidungen auf und verwies die Sache an das LAG zurück.

Die Gründe:
Die angegriffenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Die Arbeitsgerichte haben übersehen, dass § 7 Abs. 6 Satz 1 KiTaG a.F. (jetzt: § 7 Abs. 8 Satz 1 KiTaG) dahingehend verfassungskonform auszulegen ist, dass das Bekundungsverbot grds. nur gilt, soweit von dem Tragen religiöser Bekundungen keine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr für den Einrichtungsfrieden oder die Neutralität des öffentlichen Einrichtungsträgers ausgeht.

Das Vorliegen der konkreten Gefahr ist zu belegen und zu begründen. Allein das Tragen eines islamischen Kopftuchs reicht hierfür auch im Kindergartenbereich regelmäßig nicht aus. Vom bloßen Tragen des Kopftuchs geht schließlich noch kein werbender oder gar missionierender Effekt aus. Zudem sind islamische Kopftücher in Deutschland nicht unüblich, sondern spiegeln sich im gesellschaftlichen Alltag vielfach wieder. Die bloß visuelle Wahrnehmbarkeit ist in Kindertagesstätten als Folge individueller Grundrechtsausübung ebenso hinzunehmen, wie auch sonst grds. kein verfassungsrechtlicher Anspruch darauf besteht, von der Wahrnehmung anderer religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse verschont zu bleiben.

Die negative Glaubensfreiheit der Eltern wird solange nicht verletzt, wie die Erzieherinnen nicht verbal für ihre Position oder für ihren Glauben werben und die von ihnen betreuten Kinder über ihr Auftreten hinaus zu beeinflussen versuchen. Durch das bloße Tragen eines islamischen Kopftuchs werden die Kinder aber lediglich mit der von den Erzieherinnen ausgeübten positiven Glaubensfreiheit konfrontiert. Insofern spiegelt sich auch in Kindertagesstätten die religiös-pluralistische Gesellschaft wider. Im Übrigen wird diese Konfrontation durch das Auftreten anderer Erzieherinnen mit anderem Glauben oder anderer Weltanschauung in aller Regel relativiert und ausgeglichen.

Linkhinweise:

BVerfG online
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