13.03.2015

Pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen ist verfassungswidrig

Ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen an öffentlichen Schulen ist mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG nicht vereinbar. Die entsprechende Vorschrift im nordrhein-westfälischen Schulrecht ist daher dahingehend verfassungskonform einzuschränken, dass vom Tragen des Kopftuchs nicht nur eine abstrakte, sondern eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität ausgehen muss, um ein Verbot zu rechtfertigen.

BVerfG 27.1.2015, 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10
Der Sachverhalt:
Nach §§ 57 Abs. 4 Satz 1, 58 Satz 2 SchulG NW dürfen Lehrkräfte und anderes pädagogisches Personal in der Schule keine religiösen Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die Neutralität des Landes und den weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden. Satz 2 untersagt insbesondere ein äußeres Verhalten, welches den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrkraft gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung oder die Freiheitsgrundrechte auftritt.

Beide Beschwerdeführerinnen sind Musliminnen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 471/10 ist seit 1997 als Sozialpädagogin in einer öffentlichen Gesamtschule des Landes NRW angestellt. Einer Aufforderung der Schulbehörde, das Kopftuch während des Dienstes abzulegen, kam sie nach, ersetzte es aber durch eine rosafarbene handelsübliche Baskenmütze mit Strickbund und einen gleichfarbigen Rollkragenpullover als Halsabdeckung. Die Schulbehörde erteilte ihr daraufhin eine Abmahnung. Die arbeitsgerichtliche Klage hiergegen blieb in allen Instanzen erfolglos.

Die Beschwerdeführerin des Verfahrens 1 BvR 1181/10 trat 2001 als angestellte Lehrerin in ein Arbeitsverhältnis mit dem Land NRW ein. Sie erteilte an mehreren Schulen muttersprachlichen Unterricht in türkischer Sprache. Nachdem sich die Beschwerdeführerin geweigert hatte, das Kopftuch während des Dienstes abzulegen, sprach das Land zunächst eine Abmahnung und dann eine Kündigung aus. Die dagegen gerichteten Klagen der Beschwerdeführerin blieben vor den Arbeitsgerichten ohne Erfolg.

Auf die Verfassungsbeschwerde der beiden Pädagoginnen hob das Bundesverfassungsgericht die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen auf und wies die Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die örtlich zuständigen Landesarbeitsgerichte zurück.

Die Gründe:
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht auf Glaubens- und Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Dieses Grundrecht gewährleistet auch Lehrkräften in der öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule die Freiheit, einem aus religiösen Gründen als verpflichtend verstandenen Bedeckungsgebot zu genügen.

Der mit dem Kopftuchverbot an nordrhein-westfälischen Schulen verbundene Eingriff in die Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerinnen wiegt schwer. Sie berufen sich nicht nur auf eine religiöse Empfehlung. Vielmehr haben sie plausibel dargelegt, dass es sich für sie - entsprechend dem Selbstverständnis von Teilen im Islam - um ein als verpflichtend verstandenes religiöses Bedeckungsgebot in der Öffentlichkeit handelt, das zudem nachvollziehbar ihre persönliche Identität berührt, so dass ein Verbot dieser Bedeckung im Schuldienst für sie sogar den Zugang zum Beruf verstellen kann (Art. 12 Abs. 1 GG).

Dieser Eingriff ist unverhältnismäßig, wenn die Auslegung des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchulG NW durch die Arbeitsgerichte zugrunde gelegt wird, nach der eine bloß abstrakte Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität für die Untersagung genügt. Grundsätzlich verfolgt das Verbot religiöser Bekundungen zwar legitime Ziele, nämlich die Wahrung des Schulfriedens und der staatlichen Neutralität. Diese Ziele werden aber durch das bloße Tragen eines islamischen Kopftuchs nicht beeinträchtigt. Daher ist ein Kopftuchverbot erst dann zu rechtfertigen, wenn eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität feststellbar ist.

Es kann allerdings ein verfassungsrechtlich anzuerkennendes Bedürfnis bestehen, äußere religiöse Bekundungen über eine gewisse Zeit auch allgemeiner zu unterbinden, wenn in bestimmten Schulen oder Schulbezirken aufgrund substantieller Konfliktlagen über das richtige religiöse Verhalten die Schwelle zu einer hinreichend konkreten Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität in einer beachtlichen Zahl von Fällen erreicht wird. Zunächst wird dann jedoch eine anderweitige pädagogische Verwendungsmöglichkeit der Betroffenen in Betracht zu ziehen sein.

Linkhinweis:
Für den auf den Webseiten des Bundesverfassungsgerichts veröffentlichten Beschluss im Volltext klicken Sie bitte hier.

BVerfG PM Nr. 14/2015 v. 13.3.2015
Zurück