29.05.2015

Rückwirkende Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP verstößt nicht gegen das Grundgesetz

Die rückwirkende Feststellung der Arbeitsgerichte, dass die Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) nicht tariffähig ist und daher keine wirksamen Tarifverträge abschließen kann, verstößt nicht gegen das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip. Die Auslegung von Gesetzen durch die Gerichte unterliegt nur ausnahmsweise dem Vertrauensschutz, so etwa bei einer nicht vorhersehbaren Änderung einer langjährigen ständigen Rechtsprechung. Eine solche Konstellation lag hier nicht vor.

BVerfG 29.5.2015, 1 BvR 2314/12
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerinnen sind insgesamt 18 Unternehmen der Zeitarbeitsbranche. Hintergrund ihrer Verfassungsbeschwerde ist der Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14.12.2010, mit dem festgestellt worden war, dass die CGZP nicht tariffähig ist. Die vorliegend angegriffenen Entscheidungen betreffen die rückwirkenden Folgen dieser Rechtsprechung.

Konkret wenden sich die Beschwerdeführerinnen

  • gegen Beschlüsse des LAG Berlin-Brandenburg vom 9.1.2012 und des BAG vom 22.5.2012, die die Tarifunfähigkeit der CGZP zu zurückliegenden Zeitpunkten in den Jahren 2004, 2006 und 2008 betreffen, und
  • gegen einen Beschluss des BAG vom 23.5.2012, nach dem kein Grund mehr für die Aussetzung einer Klage auf Differenzlohn bestehe, da die Tarifunfähigkeit der CGZP nunmehr für die maßgeblichen Zeitpunkte in den Jahren 2003, 2005 und 2006 feststehe.

Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen nicht die im Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Art. 20 Abs. 3 GG verbietet lediglich - im Grundsatz - eine echte Rückwirkung von Gesetzen. Für die höchstrichterliche Rechtsprechung besteht dagegen grds. kein Rückwirkungsverbot.

Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist daher unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grds. unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung kann daher in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen Rechtsprechung entstehen.

Nach diesen Grundsätzen konnten die Gerichte für Arbeitssachen die Tarifunfähigkeit der CGZP mit Wirkung für die Vergangenheit feststellen, ohne gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes zu verstoßen. So liegen insbesondere die besonderen Voraussetzungen, unter denen ausnahmsweise auch eine Rechtsprechungsänderung gegen Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen kann, nicht vor:

  • Die Beschwerdeführerinnen konnten nicht auf höchstrichterliche Rechtsprechung vertrauen, denn eine solche lag zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen nicht vor. Das BAG hat die Tarifunfähigkeit der CGZP erstmals im Beschluss vom 14.12.2010 festgestellt.
  • Die bloße Erwartung, ein oberstes Bundesgericht werde eine ungeklärte Rechtsfrage in einem bestimmten Sinne beantworten, begründet kein verfassungsrechtlich geschütztes Vertrauen.
  • An der Tariffähigkeit der CGZP bestanden zudem von Anfang an erhebliche Zweifel. Gleichwohl haben die Beschwerdeführerinnen die Tarifverträge der CGZP angewendet und kamen damit in den Genuss niedriger Vergütungssätze. Mit der angegriffenen Entscheidung hat sich das erkennbare Risiko realisiert, dass später die Tarifunfähigkeit der CGZP festgestellt werden könnte.

Linkhinweis:
Für den auf den Webseiten des Bundesverfassungsgerichts veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

BVerfG PM Nr. 35/2015 vom 29.5.2015
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