12.09.2011

Urlaubsanspruch kann bei EU-rechtswidriger Regelung nicht unmittelbar gegenüber dem Arbeitgeber durchgesetzt werden

Es verstößt gegen das Unionsrecht, wenn eine nationale Regelung den Anspruch auf Jahresurlaub davon abhängig macht, dass der Arbeitnehmer im jeweiligen Urlaubsjahr mindestens an zehn Tagen gearbeitet hat. In einem solchen Fall kann der Arbeitnehmer seinen Urlaubsanspruch allerdings nicht unmittelbar gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen, sondern lediglich eine Staatshaftungsklage gegen den insoweit vertragsbrüchigen Mitgliedstaat erheben.

EuGH-Generalanwältin 8.9.2011, C-282/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens lebt und arbeitet in Frankreich. Sie war seit 1987 bei dem beklagten Arbeitgeber beschäftigt. Anfang November 2005 verunglückte sie auf dem Weg zur Arbeit und war in den folgenden zwei Jahren krankgeschrieben. Entsprechend dem französischen Arbeitsgesetzbuch berücksichtigte der Beklagte für den Urlaubsabgeltungsanspruch der Klägerin nur die Jahre, in denen sie an mindestens zehn Tagen gearbeitet hatte.

Auf die hiergegen gerichtete Klage der Arbeitnehmerin setzte das hiermit befasste französische Gericht das Verfahren aus und legte dem EuGH die Fragen zur Vorabentscheidung vor,

  • ob die französische Urlaubsregelung mit der Richtlinie 2003/8/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vereinbar ist
  • und ob das nationale Gericht dem Unionsrecht entgegenstehende nationale Bestimmungen unangewendet lassen muss.

Die EuGH-Generalanwältin Verica Trstenjak hat vorgeschlagen, die erste Frage zu bejahen und die zweite zu verneinen.

Die Gründe:
Die streitige französische Regelung verstößt gegen die Richtlinie 2003/8/EG.

Beim Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub handelt es sich um einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union, von dem die Mitgliedstaaten nur innerhalb der in der Richtlinie selbst ausdrücklich gezogenen Grenzen dürfen. Diese Grenzen hat der französische Gesetzgeber vorliegend überschritten. Insbesondere eine krankheitsbedingte Abwesenheit eines Arbeitnehmers im jeweiligen Bezugsjahr darf der Entstehung seines Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub nicht entgegenstehen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer ordnungsgemäß krankgeschrieben war.

Die Richtlinie 2003/8/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist allerdings nicht unmittelbar im Verhältnis zwischen Privaten anwendbar. Daher können Arbeitnehmer ihren Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei einer gegen die Richtlinie verstoßenden nationalen Regelung nicht unmittelbar gegenüber ihrem Arbeitgeber durchsetzen. Hierfür sind folgende Gründe maßgeblich:

  • Eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Vorschrift wird in diesen Fällen regelmäßig nicht möglich sein, ohne das nationale Recht "contra legem" auszulegen.
  • Darüber hinaus kann weder die Möglichkeit einer Horizontalwirkung von Richtlinien noch eine unmittelbare Anwendung des in der Charta der Grundrechte verankerten Grundrechts auf bezahlten Jahresurlaub dem Arbeitnehmer dazu verhelfen, seine Rechte gegenüber dem Arbeitgeber durchzusetzen.
  • Auch eine Einordnung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub als einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Unionsrechts kann nicht zu einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinie im Verhältnis zwischen Privaten führen.
  • Weiterhin lässt sich der Ansatz des Gerichtshofs im Urteil Kücükdeveci nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.

Der Hintergrund:
Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend. In den meisten Fällen folgt das Gericht allerdings den Anträgen.

Linkhinweis:
Der Volltext der Schlussanträge ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht. Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 83 vom 8.9.2011
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