24.10.2014

Erstattung von Kosten im Vorverfahren auch bei erfolgreichem Einspruch des Kindes auf Abzweigung des Kindergelds

Soweit der Einspruch des Kindes gegen die Ablehnung der beantragten Abzweigung des Kindergelds an sich selbst erfolgreich ist, sind Kosten im Vorverfahren zu erstatten. Die Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG gehört zwar nicht zum Festsetzungs-, sondern zum Auszahlungsverfahren; § 77 EStG ist aber in diesen Fällen analog anzuwenden.

BFH 26.6.2014, III R 39/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten im Vorverfahren nach § 77 EStG. Sie hatte zunächst erfolglos die Abzweigung des an ihren Vater für sie gezahlten Kindergelds beantragt. Hiergegen legte die Klägerin, vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten, Einspruch ein. Der Einspruch war erfolgreich. Die beklagte Familienkasse gab dem Abzweigungsantrag in vollem Umfang statt. Gleichzeitig lehnte sie die Erstattung der im Einspruchsverfahren entstandenen Kosten ab.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Es erachtete § 77 EStG über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch beim Einspruch in Abzweigungsfällen für anwendbar. Die Revision der Familienkasse hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Familienkasse der Klägerin deren Kosten (notwendige Aufwendungen, Gebühren und Auslagen des Prozessbevollmächtigten) für den erfolgreichen Einspruch gegen die Ablehnung der Abzweigung zu erstatten hat (§ 77 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 3 S. 2 EStG analog).

Nach § 77 Abs. 1 S. 1 EStG sind Kosten im Vorverfahren zu erstatten, soweit der Einspruch gegen die Kindergeldfestsetzung erfolgreich ist. Die Abzweigung nach § 74 Abs. 1 EStG gehört zwar nicht zum Festsetzungs-, sondern zum Auszahlungsverfahren, das dem Erhebungsverfahren entspricht. § 77 EStG ist aber in Fällen vorliegender Art analog anzuwenden. Die analoge Anwendung einer Rechtsnorm setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Eine solche Lücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben.

Bis Ende 1995 galt hinsichtlich der Kostenerstattung für Widerspruchsverfahren gegen Entscheidungen der Kindergeldkasse § 63 SGB X. Bei erfolgreichem Widerspruch hatte danach der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Auslagen zu erstatten. Der Anwendungsbereich der Vorschrift erfasste auch Rechtsbehelfe im Zusammenhang mit der Abzweigung des Kindergelds nach § 48 Abs. 1 SGB I, einer dem § 74 Abs. 1 EStG entsprechenden Regelung.

Ausweislich der Gesetzesmaterialien zu § 77 EStG war im Rahmen der Neuregelungen der einkommensteuerlichen Kindergeldvorschriften beabsichtigt, eine dem § 63 SGB X entsprechende Vorschrift zu schaffen. Gleichwohl regelt das Gesetz die Erstattungspflicht nicht allgemein für Einspruchsverfahren in Kindergeldangelegenheiten, sondern setzt einen Einspruch gegen eine Kindergeldfestsetzung voraus. Nicht gesetzlich geregelt ist damit, ob auch bei einem erfolgreichen Einspruch des Kindes gegen eine Abzweigungsentscheidung nach § 74 Abs. 1 EStG Kosten nach § 77 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EStG zu erstatten sind.

Das Fehlen einer solchen Regelung für Fälle vorliegender Art stellt eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes dar, die zu schließen ist, indem das abzweigungsberechtigte Kind eine Erstattung seiner Kosten für das Einspruchsverfahren nach § 77 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 EStG analog beanspruchen kann. Denn der Gesetzgeber wollte eine Schlechterstellung gegenüber dem bisherigen Recht vermeiden. Die erkennbare Absicht des Gesetzgebers bestand daher darin, die Erstattung von Kosten für das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren in Kindergeldangelegenheiten an die bis zum 31.12.1995 geltende Rechtslage anzugleichen.

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