24.08.2016

Urteil ohne mündliche Verhandlung - Berücksichtigung von Schriftsätzen

Entscheidet das FG nach § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung nach § 93 Abs. 3 S. 1 FGO entspricht, die Absendung der Urteilsausfertigungen. Ein Schriftsatz, der bis zu diesem Zeitpunkt beim Gericht eingeht, muss daher grundsätzlich noch verwertet werden, soweit er nicht offensichtlich unerheblich ist.

BFH 16.6.2016, X B 110/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte im Verfahren vor dem FG im Rahmen der Altersvorsorgezulage nach §§ 79 ff. EStG die Festsetzung zweier Kinderzulagen nach § 85 EStG für das Jahr 2004 begehrt. Von der Kindesmutter, seiner damaligen Ehefrau, lebte er seit August 2004 getrennt. Er betreute die Kinder fortan allein. Die Kindesmutter erhielt gleichwohl bis Mai 2005 das Kindergeld. Eine Zustimmung zur Übertragung der Kinderzulagen auf den Kläger hatte sie nicht erteilt. Seit April 2005 stand sie unter Betreuung u.a. für Vermögensangelegenheiten und familienrechtliche Angelegenheiten.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund, Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA), lehnte die Festsetzung der Kinderzulagen wegen der fehlenden Zustimmung der Kindesmutter ab. In einer mündlichen Verhandlung im Februar 2015, in der der Kläger durch seinen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Vater vertreten wurde, wies das FG darauf hin, dass es noch möglich sein sollte, die Zustimmungserklärung der Betreuerin nachzureichen. Die Beteiligten verzichteten auf weitere mündliche Verhandlung. Das FG vertagte die Sache. Am gleichen Tag forderte der Berichterstatter des FG den Kläger nach § 79b Abs. 2 FGO unter gleichzeitigem Hinweis auf die Rechtsfolgen des § 79b Abs. 3 S. 1 Nr. 1, 2 FGO auf, binnen drei Monaten eine (vorformulierte) Zustimmung der Kindesmutter, vertreten durch ihre Betreuerin, einzuholen. Die Verfügung wurde dem Vertreter des Klägers zugestellt. Ein Eingang erfolgte zunächst nicht.

Am 4.6.2015 wies das FG die Klage ab. Mit Schreiben vom 3.6.2015, eingegangen beim FG am 8.6.2015, bat der Klägervertreter um Verlängerung der Frist. Er erläuterte unter Vorlage der entsprechenden Schreiben, dass die ihm bisher bekannte Betreuerin auf ihre Nachfolgerin verwiesen, diese wiederum auf ihren Nachfolger verwiesen, jener sich seither nicht gemeldet habe, so dass es noch weiterer Zeit bedürfe, den Betreuer zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Das FG stellte das Urteil mit Verfügung vom 8.6.2015 zu mit dem Hinweis, das Urteil sei bereits am 4.6.2015 gesprochen worden, so dass der später eingegangene Schriftsatz keine Berücksichtigung mehr habe finden können.

Der Kläger war der Ansicht, es sei ihm aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen unmöglich gewesen, die gesetzte Frist einzuhalten. Sein Antrag auf Fristverlängerung sei beim FG am 8.6.2015 und damit vor Abfassung des Urteils eingegangen. Das FG hätte die Frist antragsgemäß verlängern müssen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Gründe:
Es lag ein Verfahrensfehler in Gestalt der Verletzung rechtlichen Gehörs i.S.v. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO i.V.m. § 119 Nr. 3 FGO vor.

Entscheidet das FG nach § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung nach § 93 Abs. 3 S. 1 FGO entspricht, die Absendung der Urteilsausfertigungen. Ein Schriftsatz, der bis zu diesem Zeitpunkt beim Gericht eingeht, muss daher grundsätzlich noch verwertet werden, soweit er nicht offensichtlich unerheblich ist. Im vorliegenden Fall ging der Schriftsatz des Klägers vom 3.6.2015 am 8.6.2015 beim FG ein. Am selben Tag wurde das Urteil abgesandt. Der Schriftsatz musste indes vor Absendung eingegangen sein, da andernfalls der Zusatz bei der Übersendung, dass das Urteil den Schriftsatz nicht mehr habe berücksichtigen können, nicht hätte angebracht werden können. Das FG hätte daher den Schriftsatz grundsätzlich noch verwerten und sich in seiner Entscheidung damit auseinandersetzen müssen.

Davon durfte das FG auch nicht deshalb Abstand nehmen, weil der Schriftsatz offensichtlich unerheblich gewesen wäre. Zwar ist bei einem absoluten Revisionsgrund, zu dem auch die Verletzung rechtlichen Gehörs zählt, nach § 119 Nr. 3 FGO das Urteil als auf diesem Fehler beruhend anzusehen. Das gilt allerdings dann nicht, wenn der Verfahrensfehler nur einzelne Feststellungen oder rechtliche Gesichtspunkte betrifft, auf die es für die Entscheidung aus der Sicht des Revisionsgerichts unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ankommt. Dies wäre bei einem offensichtlich unerheblichen Schriftsatz der Fall. Der Schriftsatz im vorliegenden Fall war aber nicht erkennbar ohne Bedeutung. Er war es insbesondere nicht deshalb, weil die Ausschlussfrist nach § 79b Abs. 2 FGO abgelaufen war und, worauf die ZfA dem Grunde nach zu Recht hingewiesen hatte, eine Fristverlängerung vor Ablauf der Frist hätte beantragt werden müssen. Auch wenn die Verlängerung der Frist selbst nicht mehr möglich war, konnte der nach Fristablauf eingegangene Schriftsatz für die Entscheidung des FG erheblich sein.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BFH online
Zurück