28.04.2017

AIDA-Kussmund: Panoramafreiheit erstreckt sich auch auf Kunstwerke an Kreuzfahrtschiffen

Ein Werk i.S.v. § 59 Abs. 1 S. 1 UrhG befindet sich an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, wenn es von Orten aus, die unter freiem Himmel liegen und für jedermann frei zugänglich sind, wahrgenommen werden kann. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn ein Werk (hier: mit dem "AIDA-Kussmund" dekorierte Kreuzfahrtschiffe) nicht ortsfest ist und sich nacheinander an verschiedenen öffentlichen Orten befindet.

BGH 27.4.2017, I ZR 247/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin veranstaltet Kreuzfahrten. Ihre Kreuzfahrtschiffe sind mit dem sog. "AIDA-Kussmund" dekoriert. Das Motiv besteht aus einem am Bug der Schiffe aufgemalten Mund, seitlich an den Bordwänden aufgemalten Augen und von diesen ausgehenden Wellenlinien. Das Motiv wurde von einem bildenden Künstler geschaffen. Er hat der Klägerin daran das ausschließliche Nutzungsrecht eingeräumt. Der Beklagte betrieb eine Internetseite, auf der er Ausflüge bei Landgängen auf Kreuzfahrtreisen in Ägypten anbot. Auf dieser Seite veröffentlichte er das Foto der Seitenansicht eines Schiffes der Klägerin, auf dem der "AIDA-Kussmund" zu sehen ist.

Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte habe damit ihre Rechte am als Werk der angewandten Kunst urheberrechtlich geschützten "AIDA-Kussmund" verletzt. Die Wiedergabe des auf dem Kreuzfahrtschiff aufgemalten Motivs sei nicht von der Schrankenregelung des § 59 Abs. 1 S. 1 UrhG - der sog. Panoramafreiheit - gedeckt, da sich das Kunstwerk nicht bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen befinde. Sie beantragte, dem Beklagten zu verbieten, den "AIDA-Kussmund" auf diese Weise öffentlich zugänglich zu machen. Außerdem begehrt sie die Feststellung seiner Schadensersatzpflicht.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Beklagte durfte die Fotografie des Kreuzfahrtschiffs mit dem "AIDA-Kussmund" ins Internet einstellen und damit öffentlich zugänglich machen. Der abgebildete "AIDA-Kussmund" befindet sich i.S.v. § 59 Abs. 1 S. 1 UrhG bleibend an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen.

Ein Werk befindet sich im Sinne dieser Vorschrift an öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen, wenn es von Orten aus, die unter freiem Himmel liegen und für jedermann frei zugänglich sind, wahrgenommen werden kann. Diese Voraussetzung ist auch dann erfüllt, wenn ein Werk nicht ortsfest ist und sich nacheinander an verschiedenen öffentlichen Orten befindet. Ein Werk befindet sich bleibend an solchen Orten, wenn es aus Sicht der Allgemeinheit dazu bestimmt ist, für längere Dauer dort zu sein.

Die Panoramafreiheit erfasst daher etwa Werke an Fahrzeugen, die bestimmungsgemäß im öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt werden. Dabei kann es sich um Werbung auf Omnibussen oder Straßenbahnen handeln, die den Anforderungen an Werke der angewandten Kunst genügt. Das Fotografieren und Filmen im öffentlichen Raum würde zu weitgehend eingeschränkt, wenn die Aufnahme solcher Fahrzeuge urheberrechtliche Ansprüche auslösen könnte. Künstler, die Werke für einen solchen Verwendungszweck schaffen, müssen es daher hinnehmen, dass ihre Werke an diesen öffentlichen Orten ohne ihre Einwilligung fotografiert oder gefilmt werden.

Gemessen an diesen Maßstäben durfte der Beklagte den auf dem Kreuzfahrtschiff der Klägerin aufgemalten "AIDA-Kussmund" fotografieren und ins Internet einstellen. Das mit dem "AIDA-Kussmund" dekorierte Kreuzfahrtschiff befindet sich bleibend an öffentlichen Orten, weil es dazu bestimmt ist, für längere Dauer auf der Hohen See, im Küstenmeer, auf Seewasserstraßen und in Seehäfen eingesetzt zu werden, und dort von Orten aus, die für jedermann frei zugänglich sind wahrgenommen werden kann. Es kann auf diesen grundsätzlich allgemein zugänglichen Gewässern aus oder - etwa im Hafen - vom jedermann frei zugänglichen Festland aus gesehen werden. Es kommt nicht darauf an, dass sich der "AIDA-Kussmund" mit dem Kreuzfahrtschiff fortbewegt und zeitweise an nicht öffentlich zugänglichen Orten - etwa in einer Werft - aufhalten mag.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 56 vom 27.4.2017
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