05.10.2015

Anwendung des Datenschutzrechts eines Mitgliedstaates auf ausländische Gesellschaft ist möglich

Das Datenschutzrecht eines Mitgliedstaates kann auf eine ausländische Gesellschaft angewendet werden, die in diesem Staat mittels einer festen Einrichtung eine tatsächliche und effektive Tätigkeit ausübt. Insofern reicht schon das Vorhandensein eines einzigen Vertreters unter bestimmten Umständen aus, um eine Niederlassung zu begründen, wenn dieser Vertreter mit einem ausreichenden Grad an Beständigkeit für die Erbringung der betreffenden Dienstleistungen im fraglichen Mitgliedstaat tätig ist.

EuGH 1.10.2015, C-230/14
Der Sachverhalt:
Weltimmo ist eine in der Slowakei eingetragene Gesellschaft, die eine Website zur Vermittlung von in Ungarn belegenen Immobilien betreibt. Sie verarbeitet dabei personenbezogene Daten der Inserenten. Die Inserate sind einen Monat lang kostenlos, danach muss dafür bezahlt werden. Zahlreiche Inserenten verlangten in der Vergangenheit per E-Mail die Löschung ihrer Inserate am Ende des ersten Monats und gleichzeitig die Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Weltimmo kam dieser Löschung jedoch nicht nach und stellte den Betreffenden ihre Dienstleistungen in Rechnung.

Da die in Rechnung gestellten Beträge nicht bezahlt wurden, übermittelte Weltimmo die personenbezogenen Daten der Inserenten an verschiedene Inkassounternehmen. Die Inserenten reichten daraufhin bei der ungarischen Datenschutzbehörde Beschwerden ein. Diese verhängte gegen Weltimmo ein Bußgeld von etwa 32.000 € wegen Verletzung des ungarischen Gesetzes, mit dem die Richtlinie 95/46/EG umgesetzt wird. Die Datenschutzrichtlinie sieht vor, dass jeder Mitgliedstaat eine oder mehrere öffentliche Stellen benennt, die beauftragt werden, die Anwendung der von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften in ihrem Hoheitsgebiet zu überwachen. Jede Kontrollstelle ist dafür zuständig, im Hoheitsgebiet ihres Mitgliedstaats insbesondere Untersuchungs- und Einwirkungsbefugnisse auszuüben, und dies unabhängig vom einzelstaatlichen Recht, das auf die jeweilige Verarbeitung anwendbar ist. Zudem kann jede Kontrollstelle von einer Kontrollstelle eines anderen Mitgliedstaats um die Ausübung ihrer Befugnisse ersucht werden.

Weltimmo wehrte sich gegen die Entscheidung der Kontrollstelle. Die Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn), die zur Entscheidung über den Rechtsstreit im Kassationsverfahren berufen ist, fragte den EuGH, ob im vorliegenden Fall die Richtlinie der ungarischen Kontrollstelle erlaubt, das auf der Grundlage der Richtlinie erlassene ungarische Recht anzuwenden und das in diesem Gesetz vorgesehene Bußgeld zu verhängen.

Die Gründe:
Nach der Richtlinie 95/46/EG muss jeder Mitgliedstaat die Vorschriften anwenden, die er zur Umsetzung der Richtlinie erlassen hat, sofern die Datenverarbeitung im Rahmen der in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten einer Niederlassung ausgeführt wird, die der für die Verarbeitung Verantwortliche besitzt. Insofern reicht schon das Vorhandensein eines einzigen Vertreters unter bestimmten Umständen aus, um eine Niederlassung zu begründen, wenn dieser Vertreter mit einem ausreichenden Grad an Beständigkeit für die Erbringung der betreffenden Dienstleistungen im fraglichen Mitgliedstaat tätig ist. Der Begriff der Niederlassung umfasst jede tatsächliche und effektive Tätigkeit, die mittels einer festen Einrichtung ausgeübt wird, selbst wenn sie nur geringfügig ist.

Weltimmo übt eine tatsächliche und effektive Tätigkeit in Ungarn aus. Den Erläuterungen der ungarischen Kontrollstelle zufolge verfügt Weltimmo über einen Vertreter in Ungarn, der im slowakischen Handelsregister unter einer Adresse in Ungarn aufgeführt ist und versucht hatte, mit den Inserenten über die Begleichung der unbezahlten Forderungen zu verhandeln. Dieser Vertreter hatte den Kontakt zwischen der Gesellschaft und den Inserenten hergestellt und die Gesellschaft im Verwaltungsverfahren und vor Gericht vertreten. Außerdem hat Weltimmo in Ungarn ein Bankkonto und nutzt dort ein Postfach.

Mit diesen Angaben, die noch vom vorlegenden Gericht zu prüfen sind, kann der Nachweis erbracht werden, dass in Ungarn eine "Niederlassung" i.S.d. Richtlinie besteht. Wenn der Nachweis gelingt, unterliegt die Tätigkeit von Weltimmo dem ungarischen Datenschutzrecht. Jede von einem Mitgliedstaat eingeführte Kontrollstelle muss dafür Sorge zu tragen hat, dass die von allen Mitgliedstaaten zur Umsetzung der Richtlinie 95/46 erlassenen Vorschriften im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats eingehalten werden. Daher kann sich jede Person zum Schutz der die Person betreffenden Rechte und Freiheiten bei der Verarbeitung personenbezogener Daten an jede Kontrollstelle mit einer Eingabe wenden, selbst wenn das auf diese Verarbeitung anwendbare Recht einem anderen Mitgliedstaats obliegt.

Im Fall der Anwendung des Rechts eines anderen Mitgliedstaats müssen jedoch die Untersuchungsbefugnisse der Kontrollstelle unter Einhaltung insbesondere der territorialen Souveränität der anderen Mitgliedstaaten beachtet werden, so dass eine nationale Kontrollstelle keine Sanktionen außerhalb des Hoheitsgebiets ihres Mitgliedstaats verhängen darf. Sollte das vorlegende Gericht feststellen, dass Weltimmo in Ungarn nicht über eine "Niederlassung" i.S.d. Richtlinie verfügt, und dass das auf die fragliche Verarbeitung anwendbare Recht daher das eines anderen Mitgliedstaats ist, darf die ungarische Kontrollstelle folglich nicht die Sanktionsbefugnisse ausüben, die ihr durch das ungarische Recht übertragen wurden. Nach der in der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Zusammenarbeit obliegt es jedoch dieser Kontrollstelle, die Kontrollstelle des betreffenden anderen Mitgliedstaats zu ersuchen, einen etwaigen Verstoß gegen das Recht dieses Staates festzustellen und die allenfalls in diesem Recht vorgesehenen Sanktionen zu verhängen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM v. 1.10.2015
Zurück