21.12.2016

EuGH setzt hohe Hürden für Vorratsdatenspeicherung: Keine allgemeine und unterschiedslose Datenspeicherung

Das Unionsrecht untersagt eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten. Es steht den Mitgliedstaaten aber frei, vorbeugend eine gezielte Vorratsspeicherung dieser Daten zum alleinigen Zweck der Bekämpfung schwerer Straftaten vorzusehen, sofern eine solche Speicherung hinsichtlich der Kategorien von zu speichernden Daten, der erfassten Kommunikationsmittel, der betroffenen Personen und der vorgesehenen Dauer der Speicherung auf das absolut Notwendige beschränkt ist.

EuGH 21.12.2016, C-203/15 u.a.
Hintergrund:
Mit dem Urteil Digital Rights Ireland vom 8.4.2014 (C-293/12 u.a.) erklärte der EuGH die Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten für ungültig, weil der Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und Schutz personenbezogener Daten durch die mit dieser Richtlinie vorgeschriebene allgemeine Verpflichtung zur Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten nicht auf das absolut Notwendige beschränkt war. Im Anschluss daran wurde der EuGH mit den vorliegenden beiden Rechtssachen befasst, in denen es um die den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste in Schweden und im Vereinigten Königreich auferlegte allgemeine Verpflichtung geht, Daten elektronischer Kommunikationsvorgänge, deren Vorratsspeicherung in der für ungültig erklärten Richtlinie vorgesehen war, auf Vorrat zu speichern.

Der Sachverhalt:
Am Tag nach der Verkündung des Urteils Digital Rights Ireland teilte das Telekommunikationsunternehmen Tele2 Sverige der schwedischen Überwachungsbehörde für Post und Telekommunikation mit, dass es die Vorratsspeicherung von Daten einstellen werde und beabsichtige, die bereits gespeicherten Daten zu löschen (Rechtssache C-203/15). Nach schwedischem Recht sind die Betreiber elektronischer Kommunikationsdienste nämlich verpflichtet, systematisch und kontinuierlich, und dies ohne jede Ausnahme, sämtliche Verkehrs- und Standortdaten aller Teilnehmer und registrierten Nutzer in Bezug auf alle elektronischen Kommunikationsmittel zu speichern.

In der Rechtssache C-698/15 gingen die drei Kläger gegen die britischen Regelung über die Vorratsspeicherung von Daten vor, die den Innenminister ermächtigt, die Betreiber öffentlicher Telekommunikationsdienste zu verpflichten, sämtliche Kommunikationsdaten für bis zu zwölf Monate auf Vorrat zu speichern, wobei die Speicherung des Inhalts der Kommunikationsvorgänge ausgeschlossen ist.

Die mit der Sache befassten Gerichte, das Oberverwaltungsgericht Stockholm und der Rechtsmittelgerichtshof für England und Wales, möchten vom EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens wissen, ob nationale Regelungen, die den Betreibern eine allgemeine Verpflichtung zur Vorratsspeicherung von Daten auferlegen und den zuständigen nationalen Behörden den Zugang zu den gespeicherten Daten ermöglichen, ohne dass dieser Zugang auf die Zwecke der Bekämpfung schwerer Straftaten beschränkt wäre und einer vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde unterworfen wäre, mit dem Unionsrecht - im vorliegenden Fall der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) - vereinbar sind.

Die Gründe:
Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung entgegen, die eine allgemeine und unterschiedslose Speicherung von Daten vorsieht.

Eine Regelung, die eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung vorsieht, verlangt keinen Zusammenhang zwischen den Daten, deren Vorratsspeicherung vorgesehen ist, und einer Bedrohung der öffentlichen Sicherheit. Sie beschränkt sich insbesondere nicht auf die Daten eines Zeitraums und/oder eines geografischen Gebiets und/oder eines Personenkreises, der in irgendeiner Weise in eine schwere Straftat verwickelt sein könnte. Eine solche nationale Regelung überschreitet die Grenzen des absolut Notwendigen und kann nicht als in einer demokratischen Gesellschaft gerechtfertigt angesehen werden.

Die Datenschutzrichtlinie steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, die zur Bekämpfung schwerer Straftaten eine gezielte Vorratsspeicherung von Daten ermöglicht, sofern diese Vorratsspeicherung hinsichtlich der Kategorien von zu speichernden Daten, der erfassten Kommunikationsmittel, der betroffenen Personen und der vorgesehenen Speicherungsdauer auf das absolut Notwendige beschränkt ist. Jede nationale Regelung, die derartiges vorsieht, muss klar und präzise sein und hinreichende Garantien enthalten, um die Daten vor Missbrauchsrisiken zu schützen. Im Hinblick auf den Zugang der zuständigen nationalen Behörden zu den Daten muss sich die nationale Regelung bei der Festlegung der Umstände und Voraussetzungen, unter denen den zuständigen nationalen Behörden Zugang zu den Daten zu gewähren ist, auf objektive Kriterien stützen.

Zudem ist es unerlässlich, dass der Zugang zu den auf Vorrat gespeicherten Daten grundsätzlich, außer in Eilfällen, einer vorherigen Kontrolle entweder durch ein Gericht oder eine unabhängige Stelle unterworfen wird. Außerdem müssen die zuständigen nationalen Behörden, denen Zugang zu den gespeicherten Daten gewährt wurde, die betroffenen Personen davon in Kenntnis setzen. In Anbetracht der Menge an gespeicherten Daten, ihres sensiblen Charakters und der Gefahr eines unberechtigten Zugangs muss die nationale Regelung vorsehen, dass die Daten im Gebiet der Union zu speichern sind und nach Ablauf ihrer Speicherungsfrist unwiderruflich zu vernichten sind.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 145 vom 21.12.2016
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