21.05.2012

Mobilfunkanbieter müssen auf Gefahren volumenabhängiger Tarife für nach Vertragsbeginn angebotene mobile Internetnutzung hinweisen

Ein Mobilfunkanbieter, der nach Vertragsbeginn seine Leistungen um den mobilen Internetzugang erweitert und dabei für die Entgeltberechnung einen volumenabhängigen Tarif - und damit andere Parameter als bisher - verwendet, ist zu einem Hinweis auf die Gefahr hoher Kosten verpflichtet. Es kommt - abhängig von den gegeben technischen Möglichkeiten - auch in Betracht, dass der Anbieter verpflichtet ist, den Nutzer per SMS zu warnen, sobald eine außergewöhnliche Gebührenhöhe erreicht wird, um ihm die Möglichkeit zu geben, die Datenübertragung abzubrechen.

BGH 15.3.2011, III ZR 190/11
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die Berechtigung einer Entgeltforderung der Klägerin für die Erbringung von Mobilfunkleistungen. Die Parteien schlossen 2004 einen Mobilfunkvertrag, der seinerzeit eine Datenübertragung per Mobiltelefon noch nicht erfasste. Die dem Vertrag zu Grunde liegenden AGB der Klägerin lauteten auszugsweise wie folgt:
  • "4.1 - Der Kunde ist zur Zahlung der Benutzungsbeträge verpflichtet, wie sie sich aus den von Cellway veröffentlichten Tarifen in der jeweils gültigen Fassung im Einzelnen ergeben.
  • 4.10 - Sämtliche Bepreisungen für die Nutzung neuer Zugangs- und Sonderdienste, die erst zukünftig eingeführt oder in modifizierter Form angeboten werden, stellt unser Kundendienst auf Anfrage zur Verfügung."

Im Mai 2007 erwarb der Beklagte bei einem anderen Unternehmen ein internetfähiges Mobiltelefon zu. Am 1.1.2008 rief er mit diesem Gerät über die Internetseite "youtube" einen Film ab, der eine Datenmenge von 45.835 KB beanspruchte und dessen Übertragung 21 Minuten und 17 Sekunden dauerte. Hierfür stellte die Klägerin dem Beklagten 750 € nebst Umsatzsteuer in Rechnung. Dabei legte sie ihren Tarif "surf-by-call" zu Grunde, der 0,19 € brutto für zehn Kilobyte (KB) zzgl. eines "Onlinepreises" von 0,02 € je angefangene Stunde vorsah.

In der Rechnung war auch das Entgelt für eine weitere Datenverbindung (1.188 KB) enthalten. Ferner umfasste sie die Grundgebühr und das Entgelt für zwei netzinterne Verbindungen. Insgesamt belief sich die Rechnung von Januar 2008 auf rd. 930 €. Nachdem der Beklagte die Begleichung der Entgeltforderung der Klägerin verweigerte, kündigte diese den Mobilfunkvertrag im Mai 2008. Sie verlangt mit ihrer Klage den offenen Rechnungsbetrag nebst Schadensersatz von 16,31 € wegen der vorzeitigen Vertragsbeendigung.

AG und LG gaben der Klage statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

Die Gründe:
Die Klägerin hat einen Entgeltanspruch gegen den Beklagten erworben, weil dieser sich mit seinem Mobiltelefon in das Internet eingewählt und Daten heruntergeladen hat. Demgegenüber ist aber auch ein Schadensersatzanspruch des Beklagten gegen die Klägerin nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung einer Hinweispflicht (§ 241 BGB) nicht auszuschließen, der zur Folge hat, dass der Forderung der Klägerin zumindest teilweise gem. § 242 BGB der Einwand des "dolo agit, qui petit quod statim redditurus est" entgegen steht.

Die Klägerin war bei Erweiterung ihres Angebots um den mobilen Internetzugang zu einem Hinweis auf die mit der volumenabhängigen Entgeltberechnung verbundenen Gefahren verpflichtet. Es kommt darüber hinaus je nach den im Januar 2008 bestehenden technischen Möglichkeiten und Usancen in Betracht, dass die Klägerin verpflichtet war, den Beklagten durch eine auf sein Mobilfunkgerät zu sendende Mitteilung zu warnen, sobald eine von dem normalen Nutzungsverhalten außergewöhnlich abweichende Gebührenhöhe erreicht war, um ihm die Möglichkeit zu geben, die Datenübertragung abzubrechen und so das Entstehen einer unerwünscht hohen weiteren Entgeltforderung zu verhindern.

Zwar besteht noch keine gesetzlich normierte Pflicht der Diensteanbieter zu derartigen Hinweisen; dies schließt aber nicht aus, dass sich eine solche Verpflichtung bereits als Nebenpflicht aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Mobilfunkvertrag ergab. Denn in Fallgestaltungen, in denen der Vertragsgegner über eine überlegene Sachkunde verfügt, können ihn gem. § 241 Abs. 2 BGB Hinweis- und Aufklärungspflichten zur Wahrung des Leistungs- oder Integritätsinteresses seines Partners treffen, wenn dieser mangels eigener Kenntnisse der Gefährdung seiner Belange nicht selbst in ausreichendem Maß entgegenwirken kann. Insbes. in Bereichen, in denen nicht spezifisch vorgebildeten Verbrauchern die Nutzung anspruchsvoller Technik angeboten wird, kommen solche Hinweis- und Aufklärungspflichten des Vertragspartners in Betracht, der im Gegensatz zur anderen Seite über den notwendigen Sachverstand verfügt. Dies trifft auch und gerade auf den Telekommunikationssektor zu.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts musste ein Durchschnittskunde bei der Erweiterung des Leistungsspektrums der Klägerin nicht davon ausgehen, dass sie das Entgelt für den neuen Dienst nach anderen Parametern berechnen werde als für den Telefonverkehr. Es bestand zudem ein Informationsgefälle, das für die Begründung von Hinweispflichten einer Vertragsseite zur Wahrung der Interessen des Gegners ausschlaggebend ist. Ob die Klägerin diese Pflicht verletzt hat und ob solche notwendig abstrakt gehaltenen Hinweise den Beklagten davon abgehalten hätten, sein Mobilfunkgerät am 1.1.2008 wie geschehen zu nutzen, mithin ob der etwaige Verstoß dieser Pflichten kausal für den eingetretenen Schaden war, wird im neuen Berufungsverfahren festzustellen sein.

Das LG wird dabei u.a. zu beachten haben, dass es den Nutzern - anders als in einem zeitabhängigen Tarif - regelmäßig nicht möglich ist, die im vorliegenden Fall für die Entgelthöhe maßgeblichen, von dem Mobilfunkgerät heruntergeladenen Datenmengen zu überblicken. Weitere Voraussetzung für eine Hinweispflicht der Klägerin gegenüber dem Beklagten ist allerdings, dass zum Zeitpunkt der dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden Internetnutzungen, also im Januar 2008, bereits die technischen Möglichkeiten bestanden, das übliche Entgeltaufkommen eines Kunden festzustellen, mit dem aktuellen Gebührenanfall abzugleichen und während des laufenden von dem Mobilfunkgerät abgewickelten Datenverkehrs eine Warnung zu versenden. Weiterhin muss der Einsatz der entsprechenden Computerprogramme wirtschaftlich zumutbar gewesen sein.

Linkhinweis:

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