19.10.2016

Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstößt gegen Unionsrecht

Die Preisbindung in Deutschland für verschreibungspflichtige Arzneimittel verstößt gegen das Unionsrecht. Die betreffende Regelung des § 78 AMG stellt eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs dar.

EuGH 19.10.2016, C-148/15
Der Sachverhalt:
Die beklagte "Deutsche Parkinson Vereinigung" ist eine Selbsthilfeorganisation, die die Lebensumstände von Parkinson-Patienten und deren Familien verbessern möchte. Sie hat mit der niederländischen Versandapotheke DocMorris ein Bonussystem ausgehandelt, das ihre Mitglieder in Anspruch nehmen können, wenn sie bei dieser Apotheke verschreibungspflichtige, nur über Apotheken erhältliche Parkinson-Medikamente kaufen. Der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist in Deutschland nicht mehr verboten.

Die Klägerin ist die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs. Sie ist der Ansicht, dass dieses Bonussystem gegen die deutsche Regelung verstößt, die einen einheitlichen Apothekenabgabepreis für verschreibungspflichtige Arzneimittel vorsieht (§ 78 AMG). Nach dieser Regelung hat der Hersteller für sein Arzneimittel einen Preis festzusetzen, auf den ein Großhandelszuschlag und ein Apothekenzuschlag aufgeschlagen werden.

Das LG gab der Unterlassungsklage statt und untersagte es der Beklagten, das Bonussystem zu empfehlen, wenn dies in einer Art und Weise wie im Juli 2009 geschieht, nämlich mit einem an ihre Mitglieder versandten Anschreiben. Das auf die Berufung der Beklagten mit der Sache befasste OLG setzte das Verfahren aus und möchte vom EuGH im Wege des Vorabentscheidungsersuchens wissen, ob die Festlegung einheitlicher Apothekenabgabepreise für verschreibungspflichtige Humanarzneimittel mit dem freien Warenverkehr vereinbar ist.

Die Gründe:
Die betreffende Regelung stellt eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs dar.

Die Festlegung einheitlicher Abgabepreise wirkt sich auf in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken stärker aus, so dass der Zugang zum deutschen Markt für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werden könnte als für inländische Erzeugnisse. Der Versandhandel stellt für ausländische Apotheken ein wichtigeres, evtl. auch das einzige Mittel dar, um einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt zu erhalten. Außerdem kann der Preiswettbewerb für Versandapotheken ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor sein als für traditionelle Apotheken, die besser in der Lage sind, Patienten durch Personal vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen.

Grundsätzlich kann zwar eine Beschränkung des freien Warenverkehrs mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens gerechtfertigt werden, doch ist die vorliegende Regelung zur Erreichung dieser Ziele nicht geeignet. Es wurde insbesondere nicht nachgewiesen, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher Preise eine bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden kann. Im Gegenteil legen einige eingereichte Unterlagen nahe, dass mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln fördern würde, da Anreize zur Niederlassung in Gegenden gesetzt würden, in denen wegen der geringeren Zahl an Apotheken höhere Preise verlangt werden könnten.

Zudem liegen keine Belege dafür vor, dass sich die Versandapotheken ohne die betreffende Regelung einen Preiswettbewerb liefern könnten, so dass wichtige Leistungen wie die Notfallversorgung in Deutschland nicht mehr zu gewährleisten wären, weil sich die Zahl der Präsenzapotheken in der Folge verringern würde. Andere Wettbewerbsfaktoren wie die individuelle Beratung der Patienten durch Personal vor Ort könnten den traditionellen Apotheken ggf. dabei helfen, konkurrenzfähig zu bleiben.

Es könnte sich auch herausstellen, dass für die traditionellen Apotheken, wenn sie sich einem Preiswettbewerb der Versandapotheken gegenübersehen, sogar ein Anreiz dazu bestünde, mehr Leistungen im Allgemeininteresse wie die Herstellung von Rezepturarzneimitteln anzubieten. Und ein Preiswettbewerb könnte auch den Patienten Vorteile bringen, da er es ggf. ermöglichen würde, verschreibungspflichtige Arzneimittel in Deutschland zu günstigeren Preisen anzubieten als sie derzeit festgelegt werden.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des EuGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung mit weiterführenden Links klicken Sie bitte hier.
EuGH PM Nr. 113 vom 19.10.2016
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