07.08.2015

Schadensersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung: Zur Hemmungswirkung durch Zustellung eines Mahnbescheids bei Zug-um-Zug-Leistungen

Die mit der Zustellung eines Mahnbescheids verbundene Hemmungswirkung erfasst den Streitgegenstand insgesamt und somit auch alle materiell-rechtlichen Ansprüche, die zum Streitgegenstand gehören. Demgemäß erstreckt sich die Hemmungswirkung bei hinreichender Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs im Mahnantrag auf alle im Rahmen der Anlageberatung unterlaufenen Beratungsfehler.

BGH 16.7.2015, III ZR 238/14
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagte unter dem Vorwurf einer fehlerhaften Kapitalanlageberatung auf Schadensersatz in Anspruch. Auf Empfehlung des für die Beklagte als Handelsvertreter tätigen W. R. zeichnete die Klägerin am 6.9.1996 eine Beteiligung als Kommanditistin an einem Immobilienfonds mit einer Einlage von 25.000 DM zzgl. 1.250 DM (= 5 Prozent) Agio. Diese Kapitalanlage finanzierte die Klägerin i.H.v. 20.000 DM durch ein Bankdarlehen. Mit Anwaltsschreiben vom 4.11.2011 forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung auf, eine Haftungserklärung abzugeben, ohne den geltend gemachten Schaden zu beziffern. In diesem Schreiben heißt es auch: "Selbstverständlich überträgt Ihnen unsere Mandantschaft Zug um Zug die entsprechenden Beteiligungsrechte." Die Beklagte wies die Forderungen der Klägerin mit Schreiben vom 12.12.2011 zurück.

Am 21.12.2011 beantragte die Klägerin durch ihre vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten den Erlass eines Mahnbescheids über eine Forderung von rd. 17.000 € nebst Zinsen und Anwaltskosten. In dem Mahnantrag wurde der Anspruch mit "Schadensersatz aus Beratungsvertrag, Beteiligung M. Fonds Nr. 37 vom 6.9.96" bezeichnet und erklärt, dass der Anspruch von einer Gegenleistung abhänge, diese aber erbracht sei. Der Mahnbescheid wurde antragsgemäß am 11.1.2012 erlassen und der Beklagten am 16.1.2012 zugestellt. Nach Widerspruch der Beklagten und Abgabe der Sache an das Prozessgericht begehrte die Klägerin in ihrer Anspruchsbegründung vom 4.2.2013 Schadensersatz i.H.v. rd. 15.600 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übertragung der Rechte und Pflichten an und aus der streitgegenständlichen Beteiligung, Freistellung von sämtlichen aus ihrer Gesellschaftsbeteiligung resultierenden Ansprüchen Dritter, insbesondere bzgl. erhaltener Ausschüttungen, sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Die Klägerin machte geltend, sie sei in Bezug auf die Sicherheit und Werthaltigkeit der Immobilie, die mangelnde Fungibilität, eine mangelnde Plausibilitätsprüfung, das Totalverlustrisiko, die Rechtsform der Kommanditgesellschaft sowie ein mögliches Wiederaufleben der Haftung gem. § 172 HGB (Nachhaftung) fehlerhaft beraten worden. Zudem sei weder über die Höhe der Provision von 21 Prozent noch über eine erhaltene Rückvergütung aufgeklärt worden. Die Beklagte ist diesen Vorwürfen entgegengetreten und hat sich auf die Einrede der Verjährung berufen.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die Entscheidung des OLG hält einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand. Entgegen der Auffassung des OLG würde sich allerdings eine durch die Zustellung des Mahnbescheids bewirkte und auf den Eingang des Mahnantrags bei Gericht zurückwirkende Hemmung der Verjährung (§ 204 Abs. 1 Nr. 3, § 209 BGB, § 167 ZPO) nicht auf die im Antrag - bzw. im vorgängigen Anspruchsschreiben vom 4.11.2011 - eigens erwähnten Pflichtverletzungsvorwürfe beschränken.

Die Reichweite der Hemmungswirkung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen gem. § 204 Abs. 1 BGB beurteilt sich nicht nach dem einzelnen materiell-rechtlichen Anspruch, sondern nach dem den Streitgegenstand bildenden prozessualen Anspruch. Dieser erfasst alle materiell-rechtlichen Ansprüche, die sich im Rahmen des Rechtsschutzbegehrens aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen, in Anlageberatungsfällen folglich sämtliche Pflichtverletzungen eines zu einer Anlageentscheidung führenden Beratungsvorgangs, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Pflichtverletzungen vorgetragen worden sind oder vorgetragen hätten werden können. Dementsprechend wird die Verjährung der Ansprüche für jeden einer Anlageentscheidung zugrunde liegenden Beratungsfehler gehemmt, wenn in unverjährter Zeit wegen eines oder mehrerer Beratungsfehler Klage erhoben oder ein Mahn- oder Güteverfahren eingeleitet wird.

Das OLG ist allerdings zu Recht davon ausgegangen, dass es der Klägerin nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt ist, sich auf eine Hemmung der Verjährung zu berufen. Die Berufung auf die durch Zustellung eines Mahnbescheids eingetretene Verjährungshemmung kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Antrag auf Erlass des Mahnbescheids die bewusst wahrheitswidrige Erklärung enthält, dass die Gegenleistung bereits erbracht sei. So liegt es auch hier.

Das Mahnverfahren findet gem. § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht statt, wenn die Geltendmachung des Anspruchs von einer noch nicht erbrachten Gegenleistung abhängig ist. Dementsprechend muss der Mahnantrag gem. § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Erklärung enthalten, dass der Anspruch nicht von einer Gegenleistung abhängt oder dass die Gegenleistung erbracht ist. Dies gilt auch dann, wenn sich der Antragsgegner hinsichtlich der Gegenleistung im Annahmeverzug befindet. Vom Anwendungsbereich der Regelung in § 688 Abs. 2 Nr. 2, § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO wird auch der Anspruch auf den "großen" Schadensersatz erfasst, bei dem Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe eines vom Geschädigten durch das schädigende Ereignis adäquat kausal erlangten Vorteils beansprucht werden darf.

Die demnach § 688 Abs. 2 Nr. 2 ZPO widerstreitende Geltendmachung des "großen" Schadensersatzes, der nur Zug um Zug gegen Herausgabe eines erlangten Vorteils zu gewähren ist, stellt, wenn der Antragsteller entgegen § 690 Abs. 1 Nr. 4 ZPO bewusst falsche Angaben macht, einen Missbrauch des Mahnverfahrens dar, der es dem Antragsteller nach § 242 BGB grundsätzlich verwehrt, sich auf die Hemmung der Verjährung durch Zustellung des Mahnbescheids zu berufen. Das OLG hat hier ohne Rechtsfehler festgestellt, dass die Klägerin, die sich das Verhalten ihrer vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen muss (§ 166 BGB, § 85 Abs. 2 ZPO), in ihrem Mahnantrag bewusst wahrheitswidrig angeben ließ, dass ihre Gegenleistung erbracht sei.

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