25.11.2014

Schadensersatzansprüche für Lehman-Anleger

Eine beratende Bank muss beim Vertrieb von "Garantiezertifikaten" (hier: von der niederländischen Tochtergesellschaft Lehman Brothers Treasury Co. B.V. der US-amerikanischen Lehman Brothers Holdings Inc.) über Sonderkündigungsrechte der Emittentin ungefragt aufklären. Solch ein Sonderkündigungsrecht stellt einen für die Anlageentscheidung wesentlichen und damit aufklärungsbedürftigen Umstand dar.

BGH 25.11.2014, XI ZR 169/13 u.a.
Der Sachverhalt:
Der Kläger im Verfahren Az.: XI ZR 480/13 hatte im November 2007 auf Empfehlung eines Mitarbeiters der beklagten Bank 40 Stück des "Lehman Brothers Garantiezertifikats auf fünf Bankentitel" zum Nennwert von 39.328 € erworben. Im Mai 2008 erwarb er auf Empfehlung desselben Mitarbeiters weitere 100 Stück Lehman-Zertifikate "LB 6 Jahres CatchUp Note auf sechs DAX-Werte" zum Nennwert von 100.000 €.

Der Kläger im Verfahren Az.: XI ZR 169/13 hatte im Mai 2008 auf Empfehlung eines anderen Mitarbeiters derselben beklagten Bank "Lehman Brothers Aktien Kupon Anleihen auf sechs DAX Werte", d.h. sog. Basketzertifikate, zum Kurswert von 33.099 € erworben. In dem zugehörigen Produktflyer hieß es u.a. "100% Kapitalschutz am Laufzeitende".

Sämtlichen Zertifikaten lagen die Anleihebedingungen der Emittentin zum Basisprospekt vom 28.8.2007 zu Grunde. Danach sollte die Emittentin am Laufzeitende unabhängig von der Entwicklung der Basiswerte mindestens 100% des eingezahlten Kapitals an den Anleger zurückzahlen. In den Anleihebedingungen wurde der Emittentin ein Sonderkündigungsrecht aus Gründen eines Fusionsereignisses, eines Übernahmeangebots, eines Delistings, einer Verstaatlichung, einer Insolvenz der in den Zertifikaten in Bezug genommenen Unternehmen oder wegen einer durchgeführten oder geplanten Veränderung steuerrechtlicher Vorschriften eingeräumt.

In diesen Fällen sollte der Anleger einen Rückzahlungsbetrag, der von einer Berechnungsstelle ausgehend von dem marktgerechten Wert der Zertifikate abzüglich angemessener Aufwendungen und Kosten berechnet bekommen. In den Anleihebedingungen war ausgeführt, dass der vorzeitige Rückzahlungsbetrag möglicherweise unter dem Nennbetrag liegen oder sogar Null betragen könnte. Auf das Sonderkündigungsrecht der Emittentin und dessen Rechtsfolgen wurden die Kläger von der Beklagten nicht hingewiesen. Die Anleihebedingungen wurden ihnen ebenfalls nicht übergeben.

Nach der Insolvenz der Emittentin im September 2008 waren die Zertifikate weitgehend wertlos geworden. Im Verfahren Az.: XI ZR 480/13 verlangte der Kläger Rückzahlung des Anlagebetrages abzüglich erhaltener Zahlungen aus dem Insolvenzverfahren i.H.v. 98.709 € Zug um Zug gegen Übertragung der Zertifikate, Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Zertifikate in Verzug befand. Die Klage war in den Vorinstanzen weitestgehend erfolgreich.

Der Kläger im Verfahren Az.: XI ZR 169/13 begehrte die Rückzahlung des investierten Kapitals i.H.v. 33.099 € sowie die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Das LG gab der Klage antragsgemäß statt; das OLG änderte das Urteil dahingehend ab, dass die Beklagte lediglich zur Zahlung von rund 27.472 € Zug um Zug gegen Übertragung der Zertifikate und der Ansprüche des Klägers im Insolvenzverfahren der Emittentin verpflichtet ist. Die weitergehende Klage wies es mit der Begründung ab, der Kläger habe gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen, weil er es unterlassen habe, seine Forderungen im Insolvenzverfahren der Garantin mit der Aussicht auf den Erhalt einer Vergütung von 17% seiner Forderung rechtzeitig anzumelden.

Die Revisionen der Beklagten blieben in beiden Verfahren vor dem BGH erfolglos. Gleiches galt für die im Verfahren Az.: XI ZR 169/13 erhobene Anschlussrevision des Klägers.

Die Gründe:
Berufungsgerichte hatten in beiden Verfahren die beklagte Bank zu Recht wegen schuldhafter Verletzung der Pflichten aus den geschlossenen Anlageberatungsverträgen zur Zahlung von Schadensersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB verurteilt. Schließlich waren die Empfehlungen der Zertifikate in beiden Verfahren nicht anlagegerecht.

Bei den Zertifikaten handelte es sich um Inhaberschuldverschreibungen mit einem zugesicherten Kapitalschutz. Bei solchen "Garantie-Zertifikaten" muss eine beratende Bank die Anleger über das in den jeweiligen Anleihebedingungen geregelte Sonderkündigungsrecht der Emittentin, das zu einem Totalverlust des Kapitals führen kann, ungefragt aufklären. Solch ein Sonderkündigungsrecht stellt einen für die Anlageentscheidung wesentlichen und damit aufklärungsbedürftigen Umstand dar.

Wesentliches Merkmal eines Garantiezertifikats mit 100%igem Kapitalschutz ist, dass sich das Risiko des Anlegers darauf beschränkt, mit dem Anlagebetrag während der Anlagezeit möglicherweise keine Gewinne zu erwirtschaften oder dass die Emittentin insolvent wird. Dem steht ein Sonderkündigungsrecht diametral entgegen, bei dem der von der Berechnungsstelle nach billigem Ermessen festzulegende Marktwert den Anlagebetrag unterschreiten oder sogar Null betragen kann.

Auch die Kürzung des geltend gemachten Schadensersatz des Klägers im Verfahren Az.: XI ZR 169/13 war rechtsfehlerfrei. Die Anforderungen an die Schadensminderungspflicht waren nicht überspannt worden, denn nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB trifft einen Anleger die Obliegenheit, den Schaden durch Maßnahmen, die nach Lage der Sache erforderlich scheinen und zumutbar sind, möglichst gering zu halten. Verstößt er - wie hier - gegen diese Obliegenheit, weil er seine Ansprüche im Insolvenzverfahren gegen die Garantin nicht anmeldet, muss er eine Kürzung seines Schadensersatzanspruches i.H.d. Betrages in Kauf nehmen, den er im Insolvenzverfahren hätte erlangen können.

Linkhinweise:

  • Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 173 vom 25.11.2014
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