23.08.2013

Unangemessene Ausnutzung der Wertschätzung kann bei Interesse der Abnehmer an optisch kompatiblen Produkten ausgeschlossen sein

Eine unangemessene Ausnutzung der Wertschätzung des nachgeahmten Produkts (hier: Einkaufswagen für den Einzelhandel) kann trotz einer nahezu identischen Übernahme ästhetischer Gestaltungsmerkmale eines Originalprodukts ausgeschlossen sein, wenn wegen eines Ersatz- oder Erweiterungsbedarfs der Abnehmer ein Interesse an optisch kompatiblen Produkten besteht. In solchen Fällen sind selbst Herkunftsverwechslungen hinzunehmen, sofern der Nachahmende ihnen durch andere geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen so weit wie möglich entgegenwirkt.

BGH 17.7.2013, I ZR 21/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist die weltweit größte Herstellerin von Einkaufswagen. Sie vertreibt seit mehr als dreißig Jahren in Deutschland den Einkaufswagen mit der Modellbezeichnung "EL" in unterschiedlichen Größen. Die Beklagte vertreibt den Einkaufswagen unter der Modellbezeichnung "GE S". Die von den Parteien angebotenen Einkaufswagen können ineinandergeschoben und dadurch platzsparend aufgereiht werden.

Die Klägerin hält den Einkaufswagen der Beklagten für eine unzulässige Nachahmung ihres Originalprodukts. Sie war der Ansicht, infolgedessen bestehe die Gefahr von Verwechslungen. Die Beklagte nutze die Wertschätzung ihres Originalprodukts aus. Zudem werde sie in ihren Absatzbemühungen durch die Beklagte unlauter behindert.

Das LG wies die auf wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz gestützte Klage auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht ab; das OLG gab ihr weitestgehend statt. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die auf wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz gestützten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Feststellung der Schadensersatzpflicht und Erstattung der Abmahn-kosten bejaht hatte, hielten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Zwar war die Annahme des OLG, es liege eine fast identische Übernahme ästhetischer Gestaltungsmerkmale vor, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Allerdings hatte es zu Unrecht eine unangemessene Ausnutzung der Wertschätzung des Produkts der Klägerin bejaht. Es hatte bei der notwendigen Gesamtabwägung rechtsfehlerhaft einem Interesse der Beklagten an einer optischen Kompatibilität mit dem Einkaufswagen der Klägerin kein ausreichendes Gewicht beigemessen. Der Senat hat nämlich - jedoch nach Erlass des Berufungsurteils - entschieden, dass ein zu berücksichtigendes Kompatibilitätsinteresse auch in Fällen bestehen kann, in denen auf Seiten der Abnehmer ein anerkennenswertes Interesse an der Übereinstimmung der Produkte in äußeren, nicht mehr unter Sonderschutz stehenden Gestaltungsmerkmalen mit dem Originalerzeugnis besteht (Urt. v. 24.1.2013, I ZR 136/11 - Regalsystem).

In einem solchen Fall sind selbst Herkunftsverwechslungen, die auf der übereinstimmenden Formgestaltung beruhen, hinzunehmen, sofern der Nachahmende ihnen durch andere geeignete und ihm zumutbare Maßnahmen so weit wie möglich entgegenwirkt. Im Streitfall war dagegen die Gefahr von Herkunftsverwechslungen nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht muss im weiteren Verfahren prüfen, ob nicht schon bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung eine unlautere Rufausbeutung deshalb ausscheidet, weil keine Gefahr von Herkunftsverwechslungen besteht. Sollte es zu dem gegenteiligen Ergebnis gelangen, wird es weiter zu beurteilen haben, ob einer unlauteren Rufausbeutung im vorliegenden Fall nicht ein anerkennenswertes Interesse der Beklagten an einer optischen Kompatibilität entgegensteht, weil ihr der Marktzutritt ansonsten unzumutbar erschwert wird.

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