28.04.2015

Unwirksamkeit der Klausel zum insolvenzbezogenen Sonderkündigungsrecht des Auftraggebers

§ 8 Abs. 2 VOB/B ist nach § 119 InsO unwirksam. Der den Bauvertrag wegen eines Eigeninsolvenzantrages des Auftragnehmers kündigende Auftraggeber kann deshalb einen Schadensersatzanspruch wegen der Mehrkosten zur Fertigstellung nicht allein auf diesen Antrag stützen.

OLG Frankfurt a.M. 16.3.2015, 1 U 38/14
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nahm die Beklagte als Erfüllungsbürgin nach der insolvenzbedingten Kündigung eines die VOB/B einbeziehenden Generalunternehmervertrages aus Juni 2011 mit der X-GmbH über die Errichtung eines Geschäftshauses in Anspruch, und zwar im Wesentlichen auf die Erstattung von Fertigstellungsmehrkosten. Der Generalunternehmervertrag verpflichtete den Auftragnehmer zur Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft i.H.v. 5 % der Abrechnungssumme anlässlich der "Schlussrechnungsstellung", zur Stellung einer Erfüllungsbürgschaft i.H.v. 10 % der Auftragssumme; die Erfüllungsbürgschaft sollte im Austausch mit der Gewährleistungsbürgschaft zurückgegeben werden.

Nach dem Generalunternehmervertrag sollte die Klägerin "unbeschadet der Regelung in § 8, VOB, Teil B" zur sofortigen Kündigung berechtigt sein, wenn der Auftragnehmer das Insolvenz- oder Vergleichsverfahren beantragt oder seine Zahlungen einstellt. Die Beklagte verbürgte sich in Vollzug des Bauvertrages im August 2011 i.H.v. 166.000 €. Im April 2012 stellte die X-GmbH einen Eigeninsolvenzantrag und teilte dies der Klägerin mit, die noch am selben Tage auf der Grundlage "der vertraglich getroffenen Vereinbarung und auch den einschlägigen Bestimmungen, insbesondere im § 8 VOB/B" den Vertrag "aus wichtigem Grunde fristlos" kündigte.

Daraufhin stellte die X-GmbH ihre Tätigkeit auf der klägerischen Baustelle ein. Die Klägerin ließ die Arbeiten von dritter Seite fertigstellen. Sie behauptete, ihr seien dadurch Mehrkosten i.H.v. 382.744 € entstanden. Die Beklagte hielt dagegen, das formularmäßige Verlangen nach einer Erfüllungsbürgschaft i.H.v. 10 % benachteilige den Auftragnehmer hinsichtlich der Neufassung des § 632a Abs. 3 BGB unangemessen i.S.d. § 307 BGB, die Sicherungsabrede sei insoweit unwirksam. Außerdem sei die Einräumung eines Sonderkündigungsrechtes gem. § 8 Abs. 2 VOB/B wegen seiner das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausschließenden Wirkung nach § 119 InsO unwirksam.

Das LG gab der Klage dem Grunde nach statt. Auf die Berufung der Beklagten hob das OLG die Entscheidung auf und wies die Klage ab. Wegen der Frage der Wirksamkeit des § 8 Abs. 2 VOB/B war allerdings die Revision zum BGH zuzulassen.

Die Gründe:
Der Klägerin stand gegen die Beklagte kein Anspruch aus der streitgegenständlichen Bürgschaft zu, weil es an einer durch die Bürgschaft gesicherten Hauptforderung fehlte. Die Klägerin hatte gegen die Hauptschuldnerin, die X-GmbH, keinen Schadensersatzanspruch. Ein solcher ließ sich insbesondere nicht auf § 8 Abs. 2 VOB/B stützen, weil diese unstreitig von der Klägerin gestellte Klausel jedenfalls nach § 119 InsO, aber wohl auch nach § 307 BGB unwirksam war.

Angesichts des dem Auftraggeber nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 VOB/B, von Gesetzes wegen nach § 649 S. 1 BGB jederzeit ohne besondere Gründe zustehenden Rechts zur Kündigung des Bauvertrages kommt es für die Berechtigung der gesicherten Hauptforderung nicht darauf an, ob dem Auftraggeber überhaupt ein Kündigungsrecht für den Fall der Insolvenz des Auftragnehmers eingeräumt werden kann, sondern vielmehr darauf, ob dies für ein Sonderkündigungsrecht mit den in § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B vorgesehenen Rechtsfolgen - Ausschluss des Werklohns für nicht erbrachte Teilleistungen und Begründung eines an die Kündigungsgründe anknüpfenden Anspruchs des Auftraggebers auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung - anzunehmen ist. Diese Frage war zu verneinen.

Nach der neueren BGH-Rechtsprechung (Urt. v. 15.11.2012 - IX ZR 169/11), der der Senat schon aus Gründen der Rechtssicherheit folgt, sind Lösungsklauseln in Verträgen über die fortlaufende Lieferung von Waren und Energie, die an den Insolvenzantrag oder die Insolvenzeröffnung anknüpfen, nach § 119 InsO unwirksam, weil sie im Voraus das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO ausschließen. Zu unterscheiden sei zwischen insolvenzabhängigen Lösungsklauseln und insolvenzunabhängigen Lösungsklauseln. Erstere seien nur dann unbedenklich, wenn sie einer gesetzlich vorgesehenen Lösungsmöglichkeit entsprächen. Um die Vorschrift des § 119 InsO in der Praxis nicht leer laufen zu lassen, müsse ihr eine Vorwirkung jedenfalls ab dem Zeitpunkt zuerkannt werden, in dem wegen eines zulässigen Insolvenzantrags mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ernsthaft zu rechnen ist. Diese Erwägungen waren hier auf den Bauvertrag mit der Konsequenz zu übertragen, dass § 8 Abs. 2 VOB/B unwirksam ist.

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