27.01.2017

Zur Berücksichtigung eines erstinstanzlich nicht einbezogenen Irreführungsaspekts in der Berufungsinstanz

Stützt das erstinstanzliche Gericht seine Verurteilung zur Unterlassung auf einen von mehreren Irreführungsaspekten, die mit einem einheitlichen, auf eine konkrete Verletzungsform bezogenen Klageantrag geltend gemacht werden, so fällt auch der erstinstanzlich nicht berücksichtigte Irreführungsaspekt in der Berufungsinstanz an.

BGH 15.12.2016, I ZR 241/15
Der Sachverhalt:
Die Parteien bieten Telekommunikationsdienstleistungen an. Die Beklagte warb in einer als Postwurfsendung verteilten Broschüre für den Fernsehempfang über das Internet im Rahmen ihres Produkts "Entertain" mit der Aussage "Sie sparen die monatliche Kabelanschlussgebühr".

Die Klägerin beanstandet diese Werbung als irreführend, weil die angegriffene Aussage die Möglichkeit vortäusche, von einem Kabelanschluss zum Angebot der Beklagten zu wechseln und so die monatliche Gebühr für den Kabelanschluss zu sparen. Mietern stünde diese Möglichkeit jedoch häufig nicht offen, da die Vermieter die Verträge mit den Kabelnetzbetreibern geschlossen hätten und die Kosten als Betriebskosten auf sämtliche Mieter umlegten.

Die Klägerin beanstandet weiterhin, in der Werbung werde nicht darauf hingewiesen, dass der Leistungsumfang des Produkts der Beklagten gegenüber dem der Klägerin erheblich eingeschränkt sei, weil das "Entertain"-Angebot der Beklagten nur den Fernsehempfang mit einem einzigen Fernseher beinhalte, sofern man nicht einen kostenpflichtigen Zusatzempfänger buche. Über analoge Mehrnutzeranschlüsse der Klägerin könnten hingegen beliebig viele Fernsehgeräte angeschlossen werden. Mit ihrer Klage begehrt dir Klägerin Unterlassung und Erstattung der Abmahnkosten i.H.v. rd. 700 €.

Das LG gab der Klage statt. Das OLG wie die Klage hinsichtlich des Unterlassungsantrags ab und gab ihr im Hinblick auf die Abmahnkosten lediglich i.H.v. rd. 350 € statt. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Gründe:
Das OLG hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

Das OLG hat den Vortrag der Klägerin, in der Werbung werde nicht darauf hingewiesen, dass der Leistungsumfang des Produkts der Beklagten gegenüber dem der Klägerin erheblich eingeschränkt sei, nicht in Erwägung gezogen. Die Klägerin hat geltend gemacht, das "Entertain"-Angebot der Beklagten beinhalte nur den Fernsehempfang mit einem einzigen Fernseher, sofern man nicht einen kostenpflichtigen Zusatzempfänger buche. Über analoge Mehrnutzeranschlüsse der Klägerin könnten hingegen beliebig viele Fernsehgeräte angeschlossen werden. Die Gehörsverletzung ist entscheidungserheblich.

Dass die Klägerin den vom OLG übergangenen Irreführungsaspekt zwar erstinstanzlich vorgetragen, jedoch in der Berufungsinstanz weder auf ihren erstinstanzlichen Vortrag Bezug genommen noch ihn wiederholt hat, steht einer sachlichen Entscheidung darüber nicht entgegen. Der weitere Irreführungsaspekt ist ungeachtet dessen in der Berufungsinstanz angefallen, dass das LG seine Entscheidung nicht auf ihn gestützt hat. Legt der Beklagte gegen ein Urteil, das einer im Wege objektiver Klagehäufung auf zwei Klagegründe gestützten Klage aus einem der Gründe stattgegeben hat, ein zulässiges Rechtsmittel ein, so fällt auch der nicht beschiedene Klagegrund der Rechtsmittelinstanz an.

Dieser Gedanke ist auf die Geltendmachung mehrerer Irreführungsaspekte innerhalb eines einheitlichen Streitgegenstandes übertragbar, der durch die in Bezug genommene konkrete Verletzungsform bestimmt wird. Stützt das erstinstanzliche Gericht seine Verurteilung zur Unterlassung auf einen von mehreren Irreführungsaspekten, die mit einem einheitlichen, auf eine konkrete Verletzungsform bezogenen Klageantrag geltend gemacht werden, so fällt auch der erstinstanzlich nicht berücksichtigte Irreführungsaspekt in der Berufungsinstanz an.

Vorliegend kommt insbesondere eine Irreführung durch Unterlassen gem. § 5a Abs. 2 UWG in Betracht. Es erscheint hier jedenfalls nicht fernliegend, dass der Verkehr erwartet, das "Entertain"-Angebot erlaube die Nutzung mehrerer Empfangsgeräte. Zwar handelt es sich beim internetbasierten Fernsehempfang um eine neue Form des Fernsehempfangs, auf die bisherige Erfahrungen und Gewohnheiten nicht ohne weiteres übertragbar sein müssen. Fraglich ist jedoch, ob der Verbraucher damit rechnet, dass - anders als im Falle des Kabelanschlusses oder des herkömmlichen Antennenfernsehens - das beworbene Angebot nur den Anschluss eines Fernsehers beinhaltet.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück