17.04.2014

Zur Durchführung eines Betriebsversuchs im Rahmen der Beweisaufnahme bei Vertretung einer Partei durch einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Sachverständigen

Der primär darlegungsbelastete Kläger muss greifbare Anhaltspunkte für eine behauptete Irreführung nicht nur behaupten, sondern gegebenenfalls sowohl die Tatsachen, denen Indizwirkung zukommen soll, als auch die Indizwirkung selbst beweisen. Ist im Rahmen der Beweisaufnahme ein Betriebsversuch beim Beklagten erforderlich und widerspricht der Beklagte zum Schutz von Betriebsgeheimnissen der Anwesenheit des Klägers, so kann sich dieser beim Betriebsversuch durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vertreten lassen, der vom Gericht ausdrücklich zur Verschwiegenheit auch gegenüber der eigenen Partei verpflichtet worden ist.

BGH 19.2.2013, I ZR 230/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin und die Beklagte sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Herstellung von Kunststofftragetaschen. Die Beklagte stellt Kunststofftragetaschen für das Unternehmen G her, die das Umweltzeichen "DER BLAUE ENGEL" tragen. Dieses Umweltzeichen wird von der RAL gGmbH als beliehener Zeichengeberin auch für Produkte aus Recycling-Kunststoffen lizenziert. Die Beklagte ist Lizenznehmerin. Danach müssen die mit dem Umweltzeichen gekennzeichneten Produkte während der Dauer der Zeichennutzung allen Anforderungen und Zeichenbenutzungsbedingungen entsprechen, die in der "Vergabegrundlage für Umweltzeichen RAL-ZU 30a" enthalten sind.

Nach Nr. 3 der Vergabegrundlage dürfen Fertigerzeugnisse mit dem Umweltzeichen nur gekennzeichnet werden, wenn sie zumindest zu 80 Prozent aus Kunststoffrezyklaten bestehen, worunter aus bereits gebrauchten Produkten gewonnene Mahlgüter, Folienschnitzel, Granulate oder Agglomerate verstanden werden. Die Klägerin macht geltend, die von der Beklagten an G gelieferten Tragetaschen seien nicht zumindest zu 80 Prozent aus Kunststoffrezyklaten hergestellt. Sie nimmt die Beklagten daher auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Schadensersatz in Anspruch.

Der vom LG beauftragte Sachverständige stellte fest, dass sich mit den von ihm durchgeführten Untersuchungen der quantitative Gehalt an Rezyklat-Kunststoffen in den Tragetaschen nicht erfassen lasse. Er regte deshalb einen Betriebsversuch bei der Beklagten an, bei dem die von ihr verwendeten Altfolien aufbereitet und zu Folientaschen verarbeitet werden könnten, deren Übereinstimmung mit den Tragetaschen für G sodann in Vergleichsuntersuchungen überprüft werden könnte. Das LG bat den Sachverständigen daraufhin, den Betriebsversuch durchzuführen, sofern die Klägerin ausdrücklich auf eine Teilnahme dabei verzichtet.

Die Klägerin erklärte diesen Verzicht. Das LG gestattete der Klägerin jedoch, sich bei der Beweisaufnahme durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vertreten zu lassen. Diesem untersagte es, beim Betriebsversuch offenbar werdende Betriebsgeheimnisse der Beklagten an die Klägerin weiterzugeben. Die Beklagten sagten den Betriebsversuch ab, weil sie gleichwohl der Anwesenheit eines Parteisachverständigen der Klägerin nicht zustimmen könnten.

Das LG wertete dies als Beweisvereitelung und gab der auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichteten Klage statt. Das OLG wies die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das OLG konnte die Klage auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen nicht mit der Begründung abweisen, die Klägerin habe die ihr obliegenden Darlegungsanforderungen nicht erfüllt.

Das OLG hat gemeint, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe sich das Vorbringen der Klägerin auf bloße Verdachtsmomente reduziert, mit denen sie den ihr obliegenden Darlegungsanforderungen nicht mehr gerecht geworden sei. Damit hat das OLG die erforderliche klare Differenzierung zwischen dem Nachweis greifbarer Anhaltspunkte für eine Irreführung und dem Nachweis der Irreführung selbst vermissen lassen. Seine Beweiswürdigung ist infolgedessen fehlerhaft (§ 286 ZPO). Um ihre primäre Darlegungslast zu erfüllen, musste die Klägerin greifbare Anhaltspunkte für die geltend gemachte Irreführung allerdings nicht nur behaupten, sondern diese bei Bestreiten durch die Beklagten auch beweisen. Das gilt sowohl für die Tatsachen, denen Indizwirkung zukommen soll, als auch für die Indizwirkung selbst.

Das OLG hat nicht ausdrücklich festgestellt, inwieweit die Beklagten die von der Klägerin geltend gemachten Anhaltspunkte bestritten haben. Es hat aber Bezug auf die Wiedergabe des Vortrags der Beklagten im Urteil des LG genommen. Die Beklagten haben geltend gemacht, das Fehlen der von der Klägerin behaupteten typischen Eigenschaften von Tragetaschen aus Altrezyklaten habe keine Indizwirkung dafür, dass ihre beanstandeten Tragetaschen für G zu weniger als 80 Prozent aus Altrezyklaten bestehen. Das OLG konnte deshalb davon ausgehen, dass die Indizwirkung der von der Klägerin behaupteten Anhaltspunkte des Beweises bedurfte.

Auf der Grundlage seiner Feststellungen durfte das OLG nicht annehmen, die Klägerin sei den ihr obliegenden Darlegungsanforderungen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mehr gerecht geworden. Insoweit bedarf es einer erneuten tatrichterlichen Beurteilung im zweiten Rechtsgang. Sollte das OLG dann zu dem Ergebnis gelangen, dass die Klägerin ihre primäre Darlegungspflicht erfüllt hat und auch die Beklagten ihrer sekundären Darlegungslast genügt haben, wird es zu prüfen haben, ob und ggf. mit welchen Folgen die Grundsätze der Beweisvereitelung zulasten der Beklagten Anwendung finden, weil sie den vom Sachverständigen angeregten und vom LG angeordneten Betriebsversuch abgesagt haben. Sollte sich die Erforderlichkeit des Betriebsversuchs bestätigen, dürfte es den Beklagten oblegen haben, ihn zu dulden.

Die Beklagten haben geltend gemacht, die Anwesenheit eines Parteisachverständigen der Klägerin beim Betriebsversuch könne ihnen nicht zugemutet werden, weil dadurch ihre Betriebsgeheimnisse gefährdet würden. Das LG hatte aber eine Vertretung der Klägerin bei der Beweisaufnahme nur durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen zugelassen, dem es untersagt hatte, beim Betriebsversuch offenbar werdende Betriebsgeheimnisse der Beklagten an die Klägerin weiterzugeben. Damit wäre die Weigerung der Beklagten, den Betriebsversuch durchzuführen, ggf. als Beweisvereitelung anzusehen. Ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger, der vom Gericht ausdrücklich zur Verschwiegenheit auch gegenüber der eigenen Partei verpflichtet wird, handelt grob pflichtwidrig, wenn er seiner Partei dennoch Betriebsgeheimnisse des Prozessgegners mitteilt. Ein derart grob pflichtwidriges Verhalten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen kann nicht unterstellt werden.

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