13.05.2016

Zur Haftung wegen der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Abmahnung beläuft sich in Fällen, die die Haftung wegen der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen betreffen, nicht stets auf das Doppelte des anzunehmenden Lizenzschadens, sondern ist nach dem Interesse des Rechteinhabers an der Unterbindung künftiger Rechtsverletzungen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.

BGH 12.5.2016, I ZR 272/14 u.a.
Der Sachverhalt:

+++ I ZR 272/14, I ZR 1/15, I ZR 44/15 +++
Die Klägerinnen in diesen Verfahren haben die Verwertungsrechte an verschiedenen Filmwerken inne. Sie nehmen die jeweiligen Beklagten wegen der öffentlichen Zugänglichmachung der jeweiligen Filmwerke im Wege des "Filesharing" über ihren Internetanschluss teils auf Schadensersatz (600 € je Filmtitel) sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch, die sie in den Verfahren I ZR 272/14 und I ZR 1/15 nach einem Gegenstandswert der Abmahnung i.H.v. 10.000 € auf rd. 500 € sowie im Verfahren I ZR 44/15 nach einem Gegenstandswert der Abmahnung i.H.v. 30.000 € auf rd. 1.000 € veranschlagen.

Das LG gab der Klage in den Verfahren I ZR 272/14 und I ZR 1/15 wegen des begehrten Schadensersatzes i.H.v. 600 € statt und verurteilte die Beklagten zudem in allen drei Verfahren zur Zahlung von Abmahnkosten i.H.v. rd. 130 €. Es nahm an, der Gegenstandswert der vorgerichtlichen Abmahnung belaufe sich stets auf das Doppelte des erstattungsfähigen Lizenzschadensersatzes, mithin vorliegend auf 1.200 €. Auf die Revision der Klägerinnen hob der BGH die Berufungsurteile auf und verwies die Sachen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

+++ I ZR 43/15 +++
Die Klägerin macht geltend, Inhaberin der Rechte an einem Computerspiel zu sein. Sie nimmt den Beklagten wegen der öffentlichen Zugänglichmachung des Computerspiels über seinen Internetanschluss auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch, die sie nach einem Gegenstandswert von 30.000 € auf rd. 1.000 € veranschlagt.

Das AG gab der Klage lediglich in Höhe eines Betrages von 39 € statt; das LG verurteilte den Beklagten zur Zahlung von Abmahnkosten i.H.v. insgesamt rd. 190 €. Auch hier hat das Landgericht angenommen, der Gegenstandwert der vorgerichtlichen Abmahnung belaufe sich stets auf das Doppelte des erstattungsfähigen Lizenzschadensersatzes, mithin vorliegend auf 2.000 €. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LG zurück.

+++ I ZR 48/15 +++
Die Klägerinnen in diesem Verfahren sind führende deutsche Tonträgerherstellerinnen. Sie nehmen den Beklagten als Inhaber eines Internetanschlusses wegen der angeblichen öffentlichen Zugänglichmachung von 809 Audiodateien auf Schadensersatz sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch. Der Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerinnen, die Richtigkeit der Ermittlungen sowie seine Täterschaft. Er darauf verwies darauf, dass auch seine Ehefrau und seine damals 15 und 17 Jahre alten Kinder Zugriff auf die beiden im Haushalt genutzten Computer mit Internetzugang gehabt hätten.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG gab ihr weitgehend statt und verurteilte den Beklagten bis auf einen Teil der Abmahnkosten antragsgemäß. Die Revision des Beklagten hatte vor dem BGH im Wesentlichen keinen Erfolg.

+++ I ZR 86/15 +++
Die Klägerin dieses Verfahrens ist Inhaberin der ausschließlichen Verwertungsrechte an dem Film "Silver Linings Playbook". Sie verlangte von der Beklagten als Inhaberin eines Internetanschlusses wegen der unerlaubten öffentlichen Zugänglichmachung des Werks den Ersatz von Abmahnkosten i.H.v. rd. 755 €. Die Beklagte wandte ein, ihre in Australien lebende Nichte und deren Lebensgefährte hätten anlässlich eines Besuchs mithilfe des ihnen überlassenen Passworts für den WLAN-Router die Verletzungshandlung begangen.

Das AG wies die Klage ab. Das LG gab ihr statt und verurteilte die Beklagte antragsgemäß. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des AG zurück.

Die Gründe:

+++ I ZR 272/14, I ZR 1/15, I ZR 44/15, I ZR 43/15 +++
Das LG ist zu Unrecht davon ausgegangen, der Gegenstandswert der anwaltlichen Abmahnung belaufe sich stets auf das Doppelte des anzunehmenden Lizenzschadens. Vielmehr ist der Gegenstandswert der Abmahnung in Fällen der vorliegenden Art nach dem Interesse der Klägerinnen an der Unterbindung künftiger Rechtsverletzungen unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen.

Die vom LG vorgenommene schematische Bemessung des Gegenstandswerts wird dem Umstand nicht gerecht, dass die zukünftige Bereitstellung eines Werks in einer Internet-Tauschbörse nicht nur die Lizenzierung des Werks, sondern seine kommerzielle Auswertung insgesamt zu beeinträchtigen droht. Die hiernach für die Bemessung des Gegenstandswerts erforderlichen tatsächlichen Feststellungen - etwa zum wirtschaftlichen Wert des verletzten Rechts, zur Aktualität und Popularität des Werks, zur Intensität und Dauer der Rechtsverletzung sowie zu subjektiven Umständen auf Seiten des Verletzers - hat das LG bislang nicht getroffen.

+++ I ZR 48/15 +++
Das OLG hat zu Recht angenommen, dass der Beklagte für die öffentliche Zugänglichmachung der Musikaufnahmen über seinen Internetanschluss haftet. Das OLG hat nach Durchführung der Beweisaufnahme zu Recht angenommen, die Ehefrau des Beklagten scheide als Täterin aus. Der Beklagte hat weiter nicht hinreichend konkret dazu vorgetragen, dass seine Kinder ernsthaft als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen.

+++ I ZR 86/15 +++
Entgegen der Ansicht des LG haftet die Beklagte nicht als Störer wegen von ihrer Nichte und deren Lebensgefährten begangener Urheberrechtsverletzungen auf Unterlassung. Als Grund für die Haftung kam vorliegend nur in Betracht, dass die Beklagte ihre Nichte und deren Lebensgefährten nicht über die Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Internet-Tauschbörsen belehrt hat. Der Beklagten war eine entsprechende Belehrung ohne konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung des Internetanschlusses nicht zumutbar. Den Inhaber eines Internetanschlusses, der volljährigen Mitgliedern seiner Wohngemeinschaft, seinen volljährigen Besuchern oder Gästen einen Zugang zu seinem Internetanschluss ermöglicht, trifft keine anlasslose Belehrungs- und Überwachungspflicht.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 87 vom 12.5.2016
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