10.01.2017

Zur Widerlegung der Vermutung der Sittenwidrigkeit einer Mithaftungserklärung eines finanziell überforderten Ehepartners

Bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des Mitverpflichteten ist im Wege einer tatsächlichen Vermutung von der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung auszugehen, wenn der Hauptschuldner dem Mithaftenden persönlich - etwa wie ein Ehepartner - besonders nahe steht. Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann dann davon ausgegangen werden, dass der Mithaftende die ihn übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit gestellt und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.

BGH 15.11.2016, XI ZR 32/16
Der Sachverhalt:
Die Klägerin wandte sich gegen ihre Inanspruchnahme aus einer Mithaftungserklärung für die Rückzahlung eines Darlehens und aus einem notariellen Schuldanerkenntnis sowie gegen die Vollstreckung aus einer notariellen Unterwerfungserklärung. Sie und ihr 2012 verstorbener Ehemann hatten zur Finanzierung eines Bauvorhabens (gesamte Investitionskosten ca. 1,5 Mio. DM) zur Jahreswende 1994/95 bei der Beklagten ein Darlehen aufgenommen. Vor Auszahlung der ersten Darlehensrate legte der Ehemann gegenüber der Beklagten seine Vermögensverhältnisse und diejenigen der Klägerin offen. Im Rahmen der Darlehensvereinbarung forderte die Beklagte ein notariell beurkundetes Schuldanerkenntnis der Klägerin, das diese im Juni 1995 über einen Betrag von 560.300 DM abgab.

Nach dem Tod des Ehemanns schlugen die Klägerin und die Kinder die Erbschaft aus, weshalb ein Nachlasspfleger bestellt wurde, der infolge Überschuldung des Nachlasses Insolvenzantrag stellte. Im März 2013 kündigte die Beklagte das Darlehen und forderte die Klägerin zur Zahlung von 248.652 € auf. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass der Beklagten gegen sie weder aus dem Darlehensvertrag noch aus dem Schuldanerkenntnis Ansprüche zustehen würden und dass die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde unzulässig sei. Sie machte u.a. geltend, dass Darlehensvertrag und Schuldanerkenntnis wegen finanzieller Überforderung sittenwidrig und nichtig seien. Schließlich habe sie im Jahr 1994 ein monatliches Nettoeinkommen von 2.430 DM erzielt und über kein ausreichendes Vermögen zur Abdeckung des Darlehens verfügt.

Das LG wies die Klage ab. Das OLG gab der Klage lediglich insoweit statt, als es die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde für unzulässig erklärte, soweit sie 231.300 € überstieg. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Die Gründe:
Nach ständiger BGH-Rechtsprechung ist bei Vorliegen einer krassen finanziellen Überforderung des Mitverpflichteten ohne Hinzutreten weiterer Umstände im Wege einer tatsächlichen Vermutung von der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung auszugehen, wenn der Hauptschuldner dem Mithaftenden persönlich besonders nahe steht, wie dies im Verhältnis zwischen Ehegatten und damit auch hier der Fall ist. Nach allgemeiner Lebenserfahrung kann dann davon ausgegangen werden, dass der Mithaftende die ihn vielleicht bis an das Lebensende übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner gestellt und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat. Es handelt sich hierbei um eine tatsächliche Vermutung, die der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Gläubiger zu widerlegen hat.

Nach diesen Maßgaben hielt die angefochtene Entscheidung der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Begründung des Berufungsgerichts war in mehrfacher Hinsicht von Rechtsfehlern beeinflusst. So darf nach dem Willen verständiger Parteien den finanziell krass überforderten Bürgen oder Mithaftenden mit Rücksicht auf eine weitere Sicherheit allenfalls eine seine finanzielle Leistungsfähigkeit nicht übersteigende und damit von § 138 Abs. 1 BGB nicht erfasste "Ausfallhaftung" treffen (vgl. Urt. v. 14.11.2000, Az.: XI ZR 248/99 und v. 16.6.2009, Az.: XI ZR 539/07). Dazu muss gewährleistet sein, dass der Kreditgeber ihn erst nach einer ordnungsgemäßen Verwertung der anderen Sicherheit in Anspruch nimmt. Dies war vorliegend allerdings nicht der Fall.

Davon abgesehen wurde die krasse finanzielle Überforderung der Klägerin durch die Grundschuld zudem deshalb nicht beseitigt, weil die Grundschuld - was das Berufungsgericht übersehen hatte - gemäß dem Darlehensvertrag nicht zur Sicherung des streitgegenständlichen Darlehens, sondern auch aller gegenwärtigen und künftigen Ansprüche der Beklagten gegen den Ehemann der Klägerin diente. Diese Umstände waren der Beklagten auch bekannt, so dass unter diesen Gesichtspunkten entgegen der Annahme des Berufungsgerichts eine Widerlegung der tatsächlichen Vermutung nicht in Betracht kam.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durfte die Beklagte im Hinblick auf die Vermögensverhältnisse der Klägerin auch nicht ohne Weiteres darauf vertrauen, dass diese über von ihrem Ehemann angegebenen Vermögenswerte verfügte. Für eine solche Annahme fehlte es an entsprechenden Feststellungen des OLG. Nach der Senats-Rechtsprechung wird die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Gläubigers nämlich nicht ohne weiteres dadurch widerlegt, dass Wertangaben des Bürgen oder Mithaftenden in einer in zeitlichem Zusammenhang mit dem Abschluss des Bürgschaftsvertrags bzw. der Mithaftungserklärung erteilten Selbstauskunft seine objektiv krasse finanzielle Überforderung nicht erkennen lassen. Den (subjektiven) Vorwurf der Sittenwidrigkeit räumen sie nur aus, wenn sie einer sorgfältigen Überprüfung des Gläubigers standhalten. Für Angaben durch einen Dritten gilt dies erst recht.

Linkhinweise:

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