20.03.2013

Zur Zulässigkeit der Berichterstattung über ein laufendes Strafverfahren

Die Veröffentlichung von Passagen aus der Einlassung eines prominenten Beschuldigten in seiner ersten richterlichen Vernehmung wegen des Verdachts der Vergewaltigung ist aufgrund der Unschuldsvermutung und einer möglichen durch die Medienberichterstattung bewirkten Stigmatisierung rechtswidrig. Wird das Protokoll dieser Vernehmung später in der öffentlichen Hauptverhandlung im Strafverfahren verlesen, ist eine aktuelle Prozessberichterstattung unter Einbeziehung der beanstandeten Äußerungen zulässig; die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist dann entfallen.

BGH 19.3.2013, VI ZR 93/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger war bis zu seiner Verhaftung im März 2010 wegen des Verdachts der Vergewaltigung einer damaligen Freundin als Fernsehmoderator und Journalist tätig. Er wendet sich mit seinem Unterlassungsbegehren gegen eine ihn betreffende Online-Berichterstattung auf dem von der Beklagten betriebenen Internetportal "www.bild.de" während eines gegen ihn geführten Strafverfahrens.

Kurz nach seiner Verhaftung begann eine intensive Medienberichterstattung über das gegen ihn wegen schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung eingeleitete Strafverfahren sowie über sein bis zu diesem Zeitpunkt der breiten Öffentlichkeit unbekanntes Privatleben, insbes. seine Beziehungen zu Frauen. Durch inzwischen rechtskräftiges Urteil wurde er von den Tatvorwürfen freigesprochen.

In dem nun verhandelten Rechtsstreit nimmt der Kläger das verklagte Presseorgan auf Unterlassung wegen noch vor der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolgter Äußerungen in einem am 13.6.2010 auf der von der Beklagten betriebenen Internetseite aufrufbar gestellten Artikel mit der Überschrift "Magazin "Focus" veröffentlicht intime Details - Der K.-Krimi: Neue Indizien aus der Tatnacht" in Anspruch. Anlass des Artikels waren bekannt gewordene Passagen aus der Einlassung des Klägers in seiner ersten richterlichen Vernehmung. Das Protokoll dieser Vernehmung wurde später in der öffentlichen Hauptverhandlung im Strafverfahren verlesen.

LG und OLG gaben der Klage antragsgemäß statt und verurteilten die Beklagte, es zu unterlassen die beanstandeten Äußerungen, aus denen sich Rückschlüsse auf die sexuellen Neigungen des Klägers ergaben, wie in dem Artikel vom 13.6.2010 zu veröffentlichen oder sonst zu verbreiten. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Wegen der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden und in Art. 6 Abs. 2 der europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten Unschuldsvermutung und einer möglichen durch die Medienberichterstattung bewirkten Stigmatisierung war die Veröffentlichung im Juni 2010 wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers rechtswidrig. Ein Unterlassungsanspruch des Klägers besteht gleichwohl nicht.

Nach Verlesung des Protokolls über seine haftrichterliche Vernehmung in der öffentlichen Hauptverhandlung war eine aktuelle Prozessberichterstattung unter Einbeziehung der beanstandeten Äußerungen zulässig. Infolgedessen ist die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr entfallen.

Der Unterlassungsanspruch ist auch nicht wieder neu entstanden. Der Kläger hat sich mit seinem Unterlassungsantrag gegen die aktuelle Berichterstattung im Strafverfahren gewandt. Umstände dafür, dass die Beklagte eine erneute Veröffentlichung in dieser Form vornehmen könnte, sind nicht ersichtlich.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Für die Pressemitteilung des BGH klicken Sie bitte hier.
BGH PM Nr. 46 vom 19.3.2013
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