30.01.2014

Regelungen zur behördlichen Vaterschaftsanfechtung sind nichtig

Die im Jahr 2008 eingeführten Regelungen zur behördlichen Vaterschaftsanfechtung sind verfassungswidrig und nichtig. Die unnötig weit gefassten Anfechtungsvoraussetzungen setzen u.a. nicht verheiratete, ausländische oder binationale Elternpaare, die keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, generell dem Verdacht aus, die Vaterschaftsanerkennung allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen vorgenommen zu haben, und belasten ihr Familienleben mit behördlichen Nachforschungen.

BVerfG 17.12.2013, 1 BvL 6/10
Der Sachverhalt:
Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist die Hansestadt Hamburg. Sie focht mit ihrer Klage gegen den Beklagten zu 1), ein minderjähriges Kind, und den Beklagten zu 2), den Mann, der die Vaterschaft für den Beklagten zu 1) anerkannt hatte, dessen Vaterschaft an, indem sie beim AG Hamburg-Altona beantragte festzustellen, dass der Beklagte zu 2) nicht der Vater des Beklagten zu 1) ist.

Der Beklagte zu 1) wurde 2005 in Deutschland geboren. Seine Mutter ist vietnamesische Staatsangehörige und war im Zeitpunkt der Geburt mit einem Vietnamesen verheiratet, von dem sie später geschieden wurde. Das Kind besaß ebenfalls die vietnamesische Staatsangehörigkeit. Sein Aufenthalt im Bundesgebiet war unerlaubt, der seiner Mutter geduldet. Der Beklagte zu 2) ist deutscher Staatsangehöriger. Er erkannte bereits vor der Geburt des Kindes die Vaterschaft durch notarielle Urkunde an. Infolgedessen erwarb das Kind ebenfalls die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Mutter wurde eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 28 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AufenthG erteilt. Der Beklagte zu 2) hatte und hat mit dem Kind und dessen Mutter keine gemeinsame Wohnung.

Ein gerichtlich eingeholtes Abstammungsgutachten ergab, dass Beklagten zu 2) nicht der biologische Vater des Kindes ist. Das AG Hamburg-Altona hat das Verfahren der Behördenanfechtung ausgesetzt, um die Entscheidung des BVerfG darüber einzuholen, ob die hierfür maßgeblichen Regelungen mit dem GG vereinbar sind. Dies hat das BVerfG verneint.

Die Gründe:
Die Regelungen zur Behördenanfechtung sind mit dem GG unvereinbar und nichtig.

Art. 16 Abs. 1 GG schützt vor dem Wegfall der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Schutz gilt auch für Kinder, die die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund einer Vaterschaftsanerkennung erworben haben. Eine erfolgreiche Behördenanfechtung greift daher in diese grundrechtlichen Gewährleistungen ein. Weil die Betroffenen den Wegfall der Staatsangehörigkeit teils gar nicht, teils nicht in zumutbarer Weise beeinflussen können, handelt es sich um eine absolut verbotene Entziehung der Staatsangehörigkeit i.S.d. Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG.

Soweit Vaterschaftsanfechtungen erfasst werden, die vor Inkrafttreten der Regelungen zur Behördenanfechtung erfolgten, entzieht sich der Staatsangehörigkeitsverlust auch dem Einfluss der Eltern. Grundsätzlich kommt zwar in Betracht, den Kindern Einflussmöglichkeiten ihrer Eltern zuzurechnen. Bis zur Einführung der Behördenanfechtung durften die Eltern jedoch davon ausgehen, dass die Vaterschaftsanerkennung unabhängig von ihrem Zweck wirksam war. Sie mussten nicht damit rechnen, dass die Regelungen zur Behördenanfechtung auch Vaterschaftsanerkennungen erfassen, die bereits vor Inkrafttreten der Regelungen am 1.6.2008 erfolgt waren.

Soweit Vaterschaftsanerkennungen betroffen sind, die nach Inkrafttreten der Regelungen zur Behördenanfechtung erfolgten, war es zwar möglich, aber nicht ohne Weiteres zumutbar, einen Staatsangehörigkeitsverlust dadurch zu beeinflussen, dass die "Eltern" darauf verzichteten, eine behördlich anfechtbare Vaterschaftsanerkennung vorzunehmen. Die Möglichkeit der Behördenanfechtung muss eigentlich auf die Fälle spezifisch aufenthaltsrechtlich motivierter Vaterschaftsanerkennungen begrenzt bleiben. Diese Begrenzung vermögen die vom Gesetzgeber gewählten Anfechtungsvoraussetzungen allerdings nicht hinreichend zuverlässig zu leisten. Das Defizit lässt sich angesichts der Gesetzessystematik auch nicht durch Auslegung beheben.

Die Regelungen zur Behördenanfechtung verstoßen darüber hinaus gegen Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG. Hinzu kommt ein Verstoß gegen das Elternrecht gem. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sowie gegen das Recht des Kindes auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Letztlich liegt auch noch ein Verstoß gegen das allgemeine Familiengrundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG vor. Denn die unnötig weit gefassten Anfechtungsvoraussetzungen setzen nicht verheiratete, ausländische oder binationale Elternpaare, die keinen gemeinsamen Wohnsitz haben, generell dem Verdacht aus, die Vaterschaftsanerkennung allein aus aufenthaltsrechtlichen Gründen vorgenommen zu haben, und belasten ihr Familienleben mit behördlichen Nachforschungen.

Hintergrund:
Die Behördenanfechtung wurde im Jahr 2008 eingeführt. Hintergrund war der Eindruck des Gesetzgebers, dass die Vaterschaftsanerkennung in bestimmten Konstellationen zur Umgehung des Aufenthaltsrechts genutzt wird, insbesondere damit das Kind die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt und ein Aufenthaltsrecht der ausländischen Mutter entsteht.

Die Behördenanfechtung einer Vaterschaftsanerkennung setzt - neben dem Fehlen biologischer Vaterschaft - voraus, dass zwischen dem Kind und dem Anerkennenden keine sozial-familiäre Beziehung besteht oder im Zeitpunkt der Anerkennung oder seines Todes bestanden hat und durch die Anerkennung rechtliche Voraussetzungen für die erlaubte Einreise oder den erlaubten Aufenthalt des Kindes oder eines Elternteils geschaffen werden (§ 1600 Abs. 3 BGB).

Zudem ist eine Anfechtungsfrist einzuhalten, wobei die Überleitungsvorschrift anordnet, dass diese nicht vor dem 1.6.2008 beginnt (Art. 229 § 16 EGBGB). Mit rechtskräftiger Entscheidung, dass eine Vaterschaft nicht besteht, entfallen die bisherige Vaterschaftszuordnung, die dadurch begründete Staatsangehörigkeit des Kindes und das Aufenthaltsrecht der Mutter. Diese Rechtsfolgen wirken auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes zurück.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.
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BVerfG PM Nr. 4 vom 30.1.2014
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