28.06.2016

AGG schützt auch vor Diskriminierung wegen Transsexualität - Geringe Hürden für Beweislastumkehr

Transsexualität als solche gehört zwar nicht unmittelbar zu den in § 1 AGG genannten Diskriminierungsgründen. Sie kann jedoch sowohl im Rahmen des in § 1 AGG angeführten Grundes "Geschlecht" als auch des Grundes "sexuelle Identität" von Bedeutung sein. Ein gem. § 22 AGG zu einer Beweislastumkehr führendes Indiz für eine Benachteiligung kann bereits darin liegen, dass der Arbeitgeber eine transsexuelle Bewerberin nicht als Frau wahrnimmt.

BAG 17.12.2015, 8 AZR 421/14
Der Sachverhalt:
Die Beklagte lud die transsexuelle Klägerin auf Vorschlag einer Zeitarbeitsfirma zu einem Vorstellungsgespräch ein. Der genaue Ablauf des Vorstellungsgesprächs ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin behauptete, der für die Einstellung zuständige Logistikleiter L. der Beklagten habe sie zunächst gar nicht als die angekündigte Bewerberin wahrgenommen, überrascht getan und zweimal gesagt, dass ihm eine Frau als Bewerberin angekündigt worden sei - und dies, obwohl sie ihm bereits nach dem ersten Mal geantwortet habe, dass sie die angekündigte Bewerberin sei. L. habe sodann hinter die Tür geschaut und so getan, als suche er dort eine Frau. Er habe ihr die anfallenden Arbeiten nicht erläutert und auf die mehrfache Nachfrage, wann am folgenden Montag Arbeitsbeginn sei, ausweichend geantwortet, dass er nochmals mit der Zeitarbeitsfirma sprechen müsse. Später habe sie eine Absage erhalten.

Die Klägerin machte geltend, aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt worden zu sein. Ihre Klage auf Zahlung einer Entschädigung wies sowohl das Arbeitsgericht als auch das LAG ab. Auf die Revision der Klägerin hob das BAG das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.

Die Gründe:
Das LAG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin keine gem. § 22 AGG hinreichenden Indizien für eine Diskriminierung vorgetragen hat.

Die Transsexualität gehört als solche zwar nicht zu den in § 1 AGG genannten Gründen, an die das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG anknüpft. Sie kann jedoch sowohl im Rahmen des in § 1 AGG angeführten Grundes "Geschlecht" als auch des Grundes "sexuelle Identität" i.S.v. § 1 AGG von Bedeutung sein. Dies folgt aus einer unionsrechtskonformen Auslegung von § 1 AGG.

Die Klägerin musste nicht "behaupten", für L. sei ihre Transsexualität offensichtlich gewesen oder von diesem angenommen worden. Sie musste nach § 22 AGG i.V.m. § 7 Abs. 1 Halbs. 2 AGG vielmehr nur Indizien vortragen und im Bestreitensfall beweisen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, sie sei von L. als transsexueller Mensch wahrgenommen und deshalb benachteiligt worden. Dem ist sie nachgekommen. Ihr Vortrag war geeignet, die Vermutung zu begründen, L. habe sie nicht "ihrem Geschlecht" zugehörig und damit als transsexuell wahrgenommen und sie deshalb benachteiligt.

Nach den bisher getroffenen Feststellungen kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob der Klägerin eine Entschädigung zusteht. Das LAG wird im zweiten Rechtsgang den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vorbringen geben müssen, ggf. auch zu dem äußeren Erscheinungsbild der Klägerin beim Vorstellungsgespräch.

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