02.01.2014

Kündigung wegen HIV-Infektion kann gegen das AGG verstoßen

Eine HIV-Infektion stellt, auch wenn sie symptomlos ist, eine Behinderung i.S.d. Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) dar. Eine Kündigung in der Probe- bzw. Wartezeit des § 1 KSchG wegen einer HIV-Infektion des Arbeitnehmers ist daher im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung ermöglichen kann.

BAG 19.12.2013, 6 AZR 190/12
Der Sachverhalt:
Die Beklagte, eine Produzentin von intravenös zu verabreichenden Arzneimitteln zur Krebsbehandlung, stellte den Kläger als Chemisch-Technischen Assistenten zur Arzneimittelherstellung und Qualitätskontrolle im sog. Reinraumbereich ein.

Bei einer Einstellungsuntersuchung wenige Tage nach Beginn des Arbeitsverhältnisses teilte der Kläger dem Betriebsarzt der Beklagten mit, dass er - symptomlos - mit HIV infiziert sei. Der Arzt hatte Bedenken gegen den Einsatz des Klägers im Reinraumbereich und informierte deshalb - nach Entbindung von seiner Schweigepflicht - die Beklagte über die Erkrankung. Noch am selben Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich. Wegen seiner ansteckenden Krankheit könne sie den Kläger nach ihrem internen Regelwerk nicht einsetzen.

Mit seiner gegen die Kündigung gerichteten Klage machte der Kläger geltend, dass er behindert sei. Die Kündigung sei unwirksam, weil sie ihn wegen seiner Behinderung diskriminiere. Der Kläger verlangte außerdem eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG von drei Monatsgehältern wegen seines immateriellen Schadens. Arbeitsgericht und LAG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob das BAG die Vorentscheidungen auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück.

Die Gründe:
Die Vorinstanzen sind zu Unrecht davon ausgegangen, dass ein AGG-Verstoß vorliegend nicht in Betracht.

Das AGG verbietet u.a. Diskriminierungen wegen einer Behinderung. Eine Behinderung liegt vor, wenn

  • die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist
  • und dadurch (in Wechselwirkung mit verschiedenen sozialen Kontextfaktoren/Barrieren) seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, beeinträchtigt sein kann.

Arbeitnehmer, die - wie der Kläger - an einer symptomlosen HIV-Infektion erkrankt sind, sind in diesem Sinn behindert. Auch chronische Erkrankungen können zu einer Behinderung führen. Die gesellschaftliche Teilhabe von HIV-Infizierten ist typischerweise durch Stigmatisierung und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind.

Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines solchen Arbeitnehmers in der gesetzlichen Wartezeit des § 1 KSchG wegen der HIV-Infektion, ist die Kündigung im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung ermöglichen kann.

Nach diesen Grundsätzen benachteiligt die Kündigung den Kläger unmittelbar i.S.d. § 3 Abs. 1 AGG, weil sie in untrennbarem Zusammenhang mit seiner Behinderung steht. Ob die Kündigung gleichwohl gerechtfertigt ist, steht noch nicht fest. Die Sache ist daher an das LAG zurückzuverweisen, damit dieses aufklären kann, ob die Beklagte durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Klägers im Reinraum hätte ermöglichen können. Ist das nicht der Fall, ist die Kündigung wirksam und scheidet eine Entschädigung aus.

Linkhinweis:
Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten des BAG veröffentlicht. Für die Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte hier.

BAG PM Nr. 78 vom 19.12.2013
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