04.03.2024

Befreiung des Notars von der Pflicht zur Verschwiegenheit

Der Notar, der von der Pflicht zur Verschwiegenheit befreit worden ist, entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und in welchem Umfang er einem Beteiligten Einsicht in die Nebenakte gestattet; er ist zur Gewährung der Einsicht in die Nebenakte berechtigt, aber nicht verpflichtet.

BGH v. 11.1.2024 - V ZB 63/22
Der Sachverhalt:
Die Beteiligten sind Geschwister und die befreiten Vorerben ihrer am 5.8.2016 verstorbenen Mutter (Erblasserin). Am 2.6.2016 beurkundete der Notar einen Grundstücksübertragungsvertrag, mit dem die Erblasserin der Beteiligten zu 2) eine Eigentumswohnung schenkte (UR-Nr. 721/2016 MV). Mit notarieller Urkunde vom selben Tag erteilte die Erblasserin der Beteiligten zu 2) eine Generalvollmacht (UR-Nr. 722/2016 MV). Die Beteiligten streiten vor dem LG darüber, ob der Grundstücksübertragungsvertrag wegen Geschäftsunfähigkeit der Erblasserin unwirksam ist. Das LG ordnete die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens an. Beide Beteiligten erklärten, den Notar von seiner Verschwiegenheit auch im Hinblick auf die Einsicht in die Nebenakten zu befreien. Die Präsidentin des LG als Aufsichtsbehörde erteilte anstelle der Erblasserin dem Notar die Befreiung von der Pflicht zur Verschwiegenheit gem. § 18 Abs. 2 Halbs. 2 BnotO zu der Urkundenrolle Nr. 721/2016 MV (Grundstücksübertragungsvertrag), soweit dies erforderlich ist, um den Beweisbeschluss des LG zum Zustand und zur Medikation der Erblasserin im Mai/Juni 2016 auszuführen.

Der Beteiligte zu 1) beantragte bei dem Notar, ihm die Einsichtnahme in die Nebenakte zu dem Grundstücksübertragungsvertrag insoweit zu gewähren, als daraus Umstände und Wahrnehmungen zur Geschäftsfähigkeit der Erblasserin hervorgingen. Ferner forderte er den Notar auf, Auskunft darüber erteilen, ob sich in den Nebenakten schriftliche Aufzeichnungen bzw. Vermerke über den Gesundheitszustand der Erblasserin und über die Art und Weise der Feststellung der Geschäftsfähigkeit befinden, sowie die vorbezeichneten Aufzeichnungen zur Einsicht zu geben. Schließlich verlangte er die umfassende Einsicht in die auf den Grundstücksübertragungsvertrag bezogene Nebenakte sowie die Erteilung einer beglaubigten Ablichtung. Der Notar lehnte die Anträge ab. Der dagegen gerichteten Beschwerde, mit der der Beteiligte zu 1) seine Anträge auf Einsicht und Auskunft auf die Nebenakte zu der Urkundenrolle Nr. 722/2016 MV (Generalvollmacht) erstreckt hat, half der Notar nicht ab und erklärte ergänzend, dass er in die Nebenakte zu dem Grundstücksübertragungsvertrag einen Vermerk über Feststellungen zu der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin nicht aufgenommen habe; es finde sich dort lediglich seine handschriftliche Notiz "voll geschäftsfähig".

Das LG wies die Beschwerde zurück. Die Rechtsbeschwerde des Beteiligten zu 1) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Ein im Rahmen der Notarbeschwerde allein zu prüfendes pflichtwidriges Handeln des Notars liegt nicht vor.

Das LG lehnt es zu Recht ab, den Notar zur Gewährung der Einsicht in die Nebenakten zu verpflichten. Das Recht auf Einsicht beschränkt sich nach § 51 Abs. 3 BeurkG auf die Urschrift derjenigen Urkunden, von denen die in § 51 Abs. 1 BeurkG bezeichneten Personen Ausfertigungen oder Abschriften verlangen können. Ob daneben ein Recht auf Einsicht in die Nebenakten des Notars besteht, ist gesetzlich nicht geregelt; § 13 FamFG, in dem - wie früher in § 34 FGG - die Einsichtnahme in Gerichtsakten geregelt ist, ist nicht anwendbar. Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, der Notar sei deshalb verpflichtet, dem Beteiligten zu 1) Einsicht in die Nebenakten zu gewähren, weil er umfassend, jedenfalls aber im Hinblick auf die Frage nach der Geschäftsfähigkeit der Erblasserin, von der Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden worden sei.

Richtig ist im Ausgangspunkt, dass die Nebenakte des Notars (§ 40 NotAktVV) von der Verschwiegenheitspflicht gem. § 18 BNotO erfasst ist. Deshalb besteht Einigkeit darüber, dass der Notar den in § 51 Abs. 1 BeurkG bezeichneten Personen Einsicht in Dokumente der Notarakte gewähren darf, wenn alle Beteiligten, denen gegenüber er gem. § 18 Abs. 1 BNotO zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, ihr Einverständnis erklären. Fehlt die Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht aber, darf die Einsicht nicht gewährt werden, und der Notar darf und muss diese verweigern. Wie weit die Entbindung des Notars von der Verschwiegenheitspflicht durch die Präsidentin des LG als Aufsichtsbehörde für die Erblasserin gem. § 18 Abs. 2 Halbs. 2 BNotO reicht, kann dahinstehen. Denn jedenfalls hat der Notar die Einsicht in die Nebenakten insgesamt verweigert. Ein pflichtwidriges Verhalten, das der Notarbeschwerde zum Erfolg verhelfen könnte, liegt darin nicht.

Ob der Notar bei Einverständnis aller Beteiligten lediglich berechtigt oder auch verpflichtet ist, Einsicht in die Nebenakte zu gewähren, hat der BGH bislang offengelassen. Das wird unterschiedlich beurteilt. Die ganz überwiegende Ansicht verneint grundsätzlich eine Pflicht des Notars, einem Beteiligten bzw. dessen Rechtsnachfolgern die Einsicht in die notarielle Nebenakte zu gestatten. Die Gewährung der Einsicht, auch hinsichtlich ihres Umfangs, stehe im Ermessen des Notars. Insbesondere bestehe kein Einsichtsrecht in die komplette Akte und auch nicht hinsichtlich der von dem Notar selbst gefertigten Aufzeichnungen, Anmerkungen und Vermerke. Nur vereinzelt wird ein Anspruch eines Beteiligten auf Einsicht in die notarielle Nebenakte in analoger Anwendung von § 51 Abs. 1 BeurkG hergeleitet. Die zuerst genannte Ansicht trifft zu. Der Notar, der von der Pflicht zur Verschwiegenheit befreit worden ist, entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und in welchem Umfang er einem Beteiligten Einsicht in die Nebenakte gestattet; er ist zur Gewährung der Einsicht in die Nebenakte berechtigt, aber nicht verpflichtet.

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