24.02.2017

Conterganrente schließt Kindergeldanspruch für ein behindertes Kind nicht aus

Ein Sozialhilfeträger hat für die stationäre Unterbringung und Betreuung eines contergangeschädigten Kindes Anspruch auf die Abzweigung von Kindergeld, auch wenn das Kind eine Rente nach dem Conterganstiftungsgesetz erhält. Die Conterganrente dient vorrangig dem Ausgleich des immateriellen Schadens und ist keine Leistung, die zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Kindes bestimmt oder geeignet ist.

FG Baden-Württemberg 9.11.2016, 12 K 2756/16
Der Sachverhalt:
Das betroffene Kind ist aufgrund einer Conterganschädigung seit seiner Geburt schwerbehindert. Die Mutter ist verstorben. Der Vater leistet einen Unterhaltsbeitrag von rd. 55 € im Monat und erhielt das Kindergeld bis 2005 ausgezahlt. Seit Januar 2013 wird das Kind in einem Wohnheim stationär untergebracht und betreut.

Der für die mtl. Kosten von rd. 5.000 € aufkommende Sozialhilfeträger beantragte daher ihm das Kindergeld abzuzweigen. Die beklagte Familienkasse lehnte es ab, Kindergeld festzusetzen und an den Sozialhilfeträger abzuzweigen. Das Kind sei aufgrund seiner ab Januar 2013 auf mtl. 6.812 € erhöhten Conterganrente in der Lage, sich selbst zu unterhalten.

Das FG gab der Klage des Sozialhilfeträgers statt und gewährte Kindergeld. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Gründe:
Die Familienkasse hat zu Unrecht die Kindergeldfestsetzung für das Kind aufgehoben. Es ist von Januar 2013 bis Dezember 2014 Kindergeld zu gewähren und i.H.v. rd. 130 € mtl. an den Kläger abzuzweigen. (185 € abzgl. des Unterhaltsbeitrag des Vaters von 55 €).

Nach §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG a.F. ist für ein Kind über sein 27. Lebensjahr hinaus Kindergeld zu gewähren, wenn es wie im vorliegenden Fall wegen einer vor Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Der Lebensbedarf eines behinderten Kindes besteht aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) in Höhe des Existenzminimums eines Erwachsenen und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf. Erreichen die Einkünfte und Bezüge des Kindes die Summe aus Grundbedarf und behinderungsbedingtem Mehrbedarf nicht, kann sich das Kind nicht selbst unterhalten.

Vorliegend reichten die dem Kind gezahlten Sozialleistungen - ohne Berücksichtigung der Conterganrente - nicht aus, seinen Grundbedarf und behinderungsbedingten Mehrbedarf zu decken. Der Auffassung der Familienkasse, dass die Leistungen der Conterganstiftung kindergeldrechtlich als Einkünfte und Bezüge des Kindes zu berücksichtigen seien, ist nicht zu folgen.

Dies folgt aus § 18 des Conterganstiftungsgesetzes und dem Charakter der Conterganrente als Schmerzensgeld. Schmerzensgeld nimmt innerhalb der Einkommens- und Vermögensarten eine Sonderstellung ein, weil es nicht für den Lebensunterhalt eingesetzt werden soll. Schmerzensgeld hat eine Entschädigungs- und Ausgleichsfunktion über den erlittenen Vermögensschaden hinaus. Auch die Conterganrente dient vorrangig dem Ausgleich des immateriellen Schadens und ist keine Leistung, die zur Bestreitung des Lebensunterhalts des Kindes bestimmt oder geeignet ist.

Linkhinweis:

FG Baden-Württemberg NL vom 23.2.2017
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