06.07.2015

Kindergeldberechtigung: Zur Maßgeblichkeit des tatsächlichen "Besitzes" eines aufenthaltsrechtlichen Titels

In Fällen, in denen eine Ausländerbehörde rückwirkend einen Aufenthaltstitel erteilt, der nach § 62 Abs. 2 EStG zur Inanspruchnahme von Kindergeld berechtigt, hat dies kindergeldrechtlich keine Rückwirkung zur Folge. Für den Anspruch auf Kindergeld ist vielmehr der "Besitz" eines Aufenthaltstitels erforderlich d.h. dass der Kindergeldberechtigte im maßgeblichen Anspruchszeitraum einen Aufenthaltstitel tatsächlich (körperlich) in den Händen hält.

BFH 5.2.2015, III R 19/14
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige. Sie war mit einem vom 5.11. bis 19.11.2011 gültigen Besuchsvisum nach Deutschland eingereist. Am 27.6.2012 beantragte sie unter Hinweis auf ihre Schwangerschaft eine Duldung. Dem Antrag war eine notarielle Urkunde beigefügt, in der der deutsche Staatsangehörige U. die Vaterschaft für das zu erwartende Kind anerkannte. Daraufhin wurde ihr eine Duldung gem. § 60a Abs. 2 AufenthG gewährt. Nach der Geburt des Kindes am 24.9.2012 beantragte sie eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 28 Abs. 1 S. 1 AufenthG. Nachdem die Vaterschaft des U. im Juni 2013 durch ein Gutachten bestätigt worden war, wurde der Klägerin ab 24.7.2013 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG erteilt, die zur Ausübung der Erwerbstätigkeit berechtigte.

Im Oktober 2012 beantragte die Klägerin bei der Familienkasse Kindergeld. Dies lehnte die Familienkasse mit der Begründung ab, dass kein nach § 62 EStG vorgesehener Aufenthaltstitel vorliege. Während des Klageverfahrens teilte die Ausländerbehörde auf Nachfrage des FG mit, dass die Aufenthaltserlaubnis ab der Ersterteilung gelte. Außerdem habe der Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis bereits seit der Geburt des Kindes bestanden.

Das FG gab der auf Zahlung von Kindergeld für die Zeit ab der Geburt bis Juni 2013 gerichteten Klage statt. Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.

Gründe:
Nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer wie die Klägerin für Kinder i.S.d. § 63 EStG nur Kindergeld, wenn sie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, sofern es sich nicht um einen der in § 62 Abs. 2 Nr. 2a bis c EStG genannten Aufenthaltstitel handelt.

§ 62 Abs. 2 EStG knüpft nach seinem eindeutigen Wortlaut an den "Besitz" einer Aufenthaltserlaubnis an. Diese Voraussetzung ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung nur und erst dann erfüllt, wenn der Ausländer eine Aufenthaltsgenehmigung der gesetzlich vorgeschriebenen Art tatsächlich in Händen hält, ihm also das Aufenthaltsrecht in Deutschland durch entsprechenden Verwaltungsakt mit Wirkung für die Bezugszeit des Kindergeldes zugebilligt wurde. Unerheblich ist, ob ein Anspruch auf einen entsprechenden Titel bestand. Der Kindergeldanspruch setzt vielmehr voraus, dass der Kindergeldberechtigte im maßgeblichen Streitzeitraum einen Aufenthaltstitel tatsächlich (körperlich) in den Händen hält.

Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin aber im Streitzeitraum zunächst keinen der in § 62 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 EStG aufgeführten Aufenthaltstitel. Erst während des Klageverfahrens erhielt sie die Aufenthaltserlaubnis. Die Erklärung der Ausländerbehörde, dass die aufenthaltsrechtliche Wirkung der Aufenthaltserlaubnis ab dem Zeitpunkt der Geburt gelte, änderte nichts an dem Umstand, dass die Klägerin in den Monaten August 2012 bis Juni 2013 keinen Aufenthaltstitel besessen hatte. Denn die Erteilung eines Aufenthaltstitels der zum Bezug von Kindergeld berechtigt, führt nicht rückwirkend zu einem Anspruch auf Kindergeld. Das Tatbestandsmerkmal "im Besitz" steht einem rückwirkenden Bezug von Kindergeld auch dann entgegen, wenn ein Aufenthaltstitel rückwirkend erteilt wird.

Nach Auffassung des Senats kam mangels einer planwidrigen Regelungslücke auch nicht eine analoge Anwendung von § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG in Betracht. Der Fall, dass eine Aufenthaltserlaubnis eine bestimmte Überprüfungszeit in Anspruch nimmt, kommt in der Praxis regelmäßig vor. Es konnte daher nicht angenommen werden, dass dieser Umstand im Gesetzgebungsverfahren außer Acht geblieben war.

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