17.05.2017

Voraussetzungen für die AfA beim Erwerb von Vertragsarztpraxen

Die Übertragung von Vertragsarztpraxen berechtigt den Erwerber nur dann zu Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf einen Praxiswert und das miterworbene Inventar, wenn Erwerbsgegenstand die gesamte Praxis und nicht nur eine Vertragsarztzulassung ist. Maßgebliches Indiz für einen beabsichtigten Erwerb der Praxis als Chancenpaket ist dabei, dass Veräußerer und Erwerber einen Kaufpreis i.H.d. Verkehrswerts der Praxis oder sogar einen darüber liegenden Wert vereinbaren.

BFH 21.2.2017, VIII R 7/14 u.a.
Der Sachverhalt:

+++ Az.: VIII R 7/14 +++
Im ersten Fall hatte eine fachärztliche Gemeinschaftspraxis die Vertragsarztpraxis eines Kassenarztes erworben. Der Kaufpreis orientierte sich an den durchschnittlichen Einnahmen aus der Untersuchung und Behandlung der gesetzlich und privat versicherten Patienten samt eines Zuschlags. Eine Besonderheit der fachärztlichen Einzelpraxis war, dass die Patienten diese im Wesentlichen aufgrund von Überweisungen anderer Ärzte aufsuchten und diese sog. Zuweiserbindungen ein entscheidender wertbildender Faktor waren.

Die Gemeinschaftspraxis übernahm einige Mitarbeiter der Einzelpraxis und das Patientenarchiv, da sie davon ausging, dass frühere Patienten der Einzelpraxis die Gemeinschaftspraxis aufsuchen würden. Sie wollte ihre Tätigkeit jedoch nicht in den Räumen des bisherigen Praxisinhabers ausüben. Der bisherige Einzelpraxisinhaber übernahm im Kaufvertrag die Verpflichtung, im Nachbesetzungsverfahren an der Erteilung der Zulassung an eine Gesellschafterin der Gemeinschaftspraxis mitzuwirken.

Das Finanzamt war der Ansicht, dass der gezahlte Kaufpreis ausschließlich für den Erwerb der Vertragsarztzulassung aufgewendet worden sei und somit in vollem Umfang auf ein nicht abnutz- und damit nicht abschreibbares Wirtschaftsgut entfalle. Die Klägerin begehrte weiterhin für die Streitjahre 2004 bis 2006 den Abzug von Betriebsausgaben aus der Abschreibung eines erworbenen Praxiswerts. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

+++ Az.: VIII R 56/14 +++
Im zweiten Fall hatte der Inhaber einer Einzelpraxis mit dem Neugesellschafter einer Gemeinschaftspraxis einen sog. Praxisübernahmevertrag. Dieser stand unter der Bedingung der erfolgreichen Überleitung der Vertragsarztzulassung auf den Erwerber. Der Verkäufer verpflichtete sich auch hier im Nachbesetzungsverfahren an der Überleitung der Zulassung auf den Erwerber mitzuwirken. Zudem verlegte er seine Vertragsarztpraxis für eine kurze Zeit an den Ort der Gemeinschaftspraxis. Allerdings wurde er tatsächlich nicht für die Gemeinschaftspraxis tätig.

Das Finanzamt sah den Praxisübernahmevertrag als Kaufvertrag über eine Vertragsarztzulassung an und berücksichtigte in den für die Streitjahre 2005 bis 2008 ergehenden Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen die AfA nicht als Sonderbetriebsausgaben. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage teilweise statt. Auf die Revision des Finanzamtes hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:

+++ Az.: VIII R 7/14 +++
Entgegen der Würdigung des FG hatte die Klägerin die Anschaffungskosten zum Erwerb der materiellen Wirtschaftsgüter der Praxis und eines Praxiswerts aufgewendet. Sie kann daher in den Streitjahren Betriebsausgaben in Form von AfA für diese in Anspruch nehmen. Allerdings kann auf Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht beurteilen werden, ob die Klägerin AfA-Beträge in der geltend gemachten Höhe abziehen kann.

Wird eine Vertragsarztpraxis samt der zugehörigen materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter der Praxis, insbesondere des Praxiswerts, als Chancenpaket erworben, ist der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt untrennbar im Praxiswert als abschreibbares immaterielles Wirtschaftsgut enthalten. Dies gilt auch, wenn eine Gemeinschaftspraxis eine Einzelpraxis unter der Bedingung erwirbt, die Vertragsarztzulassung des Einzelpraxisinhabers werde im Nachbesetzungsverfahren einem Gesellschafter der Gemeinschaftspraxis erteilt.

Maßgebliches Indiz für einen beabsichtigten Erwerb der Praxis als Chancenpaket ist dabei, dass Veräußerer und Erwerber einen Kaufpreis i.H.d. Verkehrswerts der Praxis oder sogar einen darüber liegenden Wert vereinbaren. Der Umstand, dass die Gemeinschaftspraxis nicht beabsichtigt, die ärztliche Tätigkeit in den bisherigen Räumen des Einzelpraxisinhabers fortzusetzen, steht dem nicht entgegen.

+++ Az.: VIII R 56/14 +++
Das FG war rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass der Kläger AfA auf das entgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgut des Vorteils aus der Vertragsarztzulassung vornehmen kann. Vielmehr handelt es sich um Anschaffungskosten für ein nicht abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut des Anlagevermögens, die gem. § 4 Abs. 3 S. 4 EStG erst im Zeitpunkt der Veräußerung oder Entnahme als Betriebsausgabe zu berücksichtigen sind.

Infolgedessen lag keine AfA-Berechtigung des Erwerbers in vollem Umfang vor. Der Neugesellschafter hat nur den wirtschaftlichen Vorteil aus der auf ihn überzuleitenden Vertragsarztzulassung gekauft, da er weder am Patientenstamm der früheren Einzelpraxis noch an anderen wertbildenden Faktoren ein Interesse gehabt hatte. Dieses Wirtschaftsgut ist allerdings nicht abschreibbar, da es keinem Wertverzehr unterliegt.

Der Inhaber kann eine ihm unbefristet erteilte Vertragsarztzulassung, solange er sie innehat, gleichbleibend in Anspruch nehmen. Er kann zudem den aus ihr resultierenden wirtschaftlichen Vorteil im Rahmen eines Nachbesetzungsverfahrens gem. § 103 SGB V durch eine Überleitung der Zulassung auf einen Nachfolger verwerten. Daher erschöpft sich der Wert des immateriellen Wirtschaftsgutes des wirtschaftlichen Vorteils aus der Vertragsarztzulassung nicht in einer bestimmten bzw. bestimmbaren Zeit.

Hintergrund:
In beiden Streitfällen hatten die Beteiligten Praxisübernahmeverträge geschlossen, in denen es auch um die Überleitung der sog. Vertragsarztzulassungen vom Praxisveräußerer und Zulassungsinhaber auf die Praxiserwerber ging. Die Zulassung vermittelt ein höchstpersönliches, öffentlich-rechtliches Statusrecht, das dazu berechtigt, gesetzlich krankenversicherte Patienten zu behandeln und die Leistungen gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen. Sie wird in zulassungsbeschränkten Gebieten in einem sog. Nachbesetzungsverfahren nach § 103 SGB V erteilt und kann vom Zulassungsinhaber nicht direkt an einen Erwerber veräußert werden.

Gleichwohl enthalten Praxisübertragungsverträge häufig Regelungen zur Überleitung der Zulassung auf den Praxiserwerber und eine Verpflichtung zur Mitwirkung des Zulassungsinhabers im Nachbesetzungsverfahren.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext von VIII R 7/14 zu gelangen, klicken Sie bitte hier.
  • Um direkt zum Volltext von VIII R 56/14 zu gelangen, klicken Sie bitte hier.
BFH PM Nr. 33 vom 17.5.2017
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