03.08.2011

Behörden müssen auch Informationen zu insolvenzrechtlichen Aufrechnungshindernissen einholen

In Fällen, in denen eine Behörde von anderen Behörden desselben Landes Informationen einholt, um eine Schuld des Landes im Wege der Aufrechnung tilgen zu können, müssen auch die Informationen fließen, die der Wirksamkeit einer Aufrechnung insolvenzrechtlich entgegenstehen können. Unterbleibt eine umfassende Mitteilung aller bekannten rechtserheblichen Umstände, hat dies zur Folge, dass sich die handelnde Körperschaft auf die Unkenntnis solcher Umstände nicht berufen darf.

BGH 30.6.2011, IX ZR 155/08
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 27.1.2004 am 1.4.2004 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B-GmbH. Diese befand sich im November 2002 mit ihren steuerlichen Verpflichtungen i.H.v. rund 1,6 Mio. € im Rückstand, weshalb das zuständige Finanzamt eine Liquiditätsprüfung durchführte. Zur gleichen Zeit nahm die GmbH an einer von dem Staatsbauamt durchgeführten Ausschreibung teil, erklärte hierbei, ihrer Verpflichtung zur Zahlung von Steuern und Abgaben nachgekommen zu sein, und erhielt im Februar 2003 den Auftrag.

Das Staatsbauamt verfügte zu diesem Zeitpunkt über keine Kenntnisse von der finanziellen Lage der Schuldnerin. Diese erbrachte bis zur Rohbauabnahme im August 2003 ihre Leistungspflichten. Die Zahlungsregulierung erfolgte über die Staatskasse bei einem anderen Finanzamt.

Nach Erhalt der ersten Abschlagsrechnung im April 2003 erfragte die Staatskasse bei den für die Beitreibung der von der B-GmbH abzuführenden Lohn- und Umsatzsteuer zuständigen Finanzämtern rückständige Steuerforderungen und erklärte gegenüber der Werklohnforderung die Aufrechnung. Auf diese Weise erklärte sie die Aufrechnung gegen Werklohnforderungen der B-GmbH i.H.v. insgesamt 1 Mio. €. Der Kläger verlangte hingegen Bezahlung der Werklohnforderungen, weil er die Aufrechnungen gem. § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 133 Abs. 1 InsO für insolvenzrechtlich unwirksam hielt.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die Ausführungen des Berufungsgerichtes hielten der rechtlichen Prüfung nicht stand.

Das OLG hätte prüfen müssen, ob der Beklagte zu einem späteren Zeitpunkt von dem Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der B-GmbH Kenntnis erhielt, nach welchem diese noch Werkleistungen erbrachte. Denn nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist die Aufrechnung unzulässig, wenn der Insolvenzgläubiger die Möglichkeit durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Bei einem Werkvertrag bestimmt sich der maßgebliche Zeitpunkt nach § 140 Abs. 1 InsO, weil die Werklohnforderung nicht unter einer rechtsgeschäftlichen Bedingung steht. Deshalb verlegt § 140 Abs. 3 InsO den Zeitpunkt nicht auf den Vertragsschluss zurück.

Infolgedessen hatte das OLG gem. § 140 Abs. 1 InsO zu Unrecht den Abschluss des Werkvertrages für maßgeblich gehalten. Gleichwohl kam nur eine Anwendung von § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 133 Abs. 1 InsO in Betracht. Alle Werklohnforderungen waren mit dem Abschluss der Rohbauarbeiten im August 2003 und damit mehr als drei Monate vor Stellung des Insolvenzantrags werthaltig geworden.

Für die Kenntnis des Beklagten vom Benachteiligungsvorsatz der B-GmbH konnte zudem nicht auf den Wissensstand des Staatsbauamtes abgestellt werden. Denn holt eine Behörde von anderen Behörden desselben Landes Informationen ein, um eine Schuld des Landes im Wege der Aufrechnung tilgen zu können, müssen auch die Informationen verlangt und erteilt werden, die der Wirksamkeit einer Aufrechnung insolvenzrechtlich entgegenstehen können. Unterbleibt die vollständige Mitteilung aller bekannten rechtserheblichen Umstände, hat dies zur Folge, dass sich die handelnde Körperschaft auf die Unkenntnis solcher Umstände nicht berufen darf.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück