12.11.2013

Urheberrecht: Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur im Hinblick auf Verletzungen desselben Schutzrechts

Die Verletzung eines bestimmten Schutzrechts (hier: Recht an einem Lichtbild, § 72 Abs. 1 UrhG) kann die Vermutung der Wiederholungsgefahr nach § 97 Abs. 1 S. 1 UrhG nicht nur für Verletzungen desselben Schutzrechts, sondern auch für Verletzungen anderer Schutzrechte (hier: Rechte an anderen Lichtbildern, § 72 Abs. 1 UrhG) begründen. Voraussetzung dafür ist, dass die Verletzungshandlungen trotz Verschiedenheit der Schutzrechte im Kern gleichartig sind.

BGH 20.6.2013, I ZR 55/12
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Kfz-Sachverständiger, die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen. Der Kläger begutachtete im Jahr 2005 nach einem Unfall, an dem ein Versicherungsnehmer der Beklagten beteiligt war, im Auftrag des Geschädigten dessen Motorrad. Er fertigte zu diesem Zweck 34 Lichtbilder des Motorrads und übermittelte sein mit den Lichtbildern versehenes Gutachten der Beklagten.

Die Beklagte am 20.5.2005 fünf der Lichtbilder in eine Restwertbörse im Internet ein. Sie teilte dem Kläger auf dessen Anfrage im Dezember 2008 mit, es lasse sich nicht mehr nachvollziehen, welche fünf Lichtbilder sie seinerzeit in die Restwertbörse eingestellt habe.

Der Kläger beantragte - soweit noch von Bedeutung -,

der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, Fotos aus seinem Gutachten Nr. 2505 betreffend den Geschädigten S. D. vom 18.5.2005 künftig ohne seine ausdrückliche Einwilligung im Internet öffentlich zugänglich zu machen.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück..

Die Gründe:
Der Unterlassungsantrag des Klägers ist zwar nicht hinreichend bestimmt. Dies hat aber nicht zur Folge, dass dieser Antrag als unzulässig abzuweisen ist. Vielmehr war das Berufungsurteil insoweit aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen. Dies wird dem Kläger Gelegenheit geben müssen, sein Unterlassungsbegehren in einen Antrag zu fassen, der dem Bestimmtheitsgebot entspricht. Dem Kläger steht ein diesem Begehren entsprechender materiell-rechtlicher Unterlassungsanspruch zu. Er kann von der Beklagten gem. § 97 Abs. 1 S. 1, §§ 72, 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, § 19a UrhG beanspruchen, es zu unterlassen, die 34 Lichtbilder des Gutachtens künftig ohne seine ausdrückliche Einwilligung im Internet öffentlich zugänglich zu machen.

Die Beklagte hat das dem Kläger als Lichtbildner der 34 Fotografien des Gutachtens gem. § 72 Abs. 2 UrhG zustehende Recht nach § 72 Abs. 1 UrhG widerrechtlich verletzt, indem sie fünf dieser Lichtbilder ohne seine Einwilligung in eine Restwertbörse im Internet eingestellt und damit i.S.v. § 15 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, § 19a UrhG öffentlich zugänglich gemacht hat. Die durch die Rechtsverletzung begründete tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr besteht auch nicht nur hinsichtlich der fünf ins Internet eingestellten Lichtbilder, sondern erstreckt sich zudem auf die 29 weiteren Lichtbilder des Gutachtens. Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Schadensersatz können - soweit Wiederholungsgefahr gegeben ist - über die konkrete Verletzungshandlung hinaus für Handlungen gegeben sein, in denen das Charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt.

Dies hat seinen Grund darin, dass eine Verletzungshandlung die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für die identische Verletzungsform, sondern für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen begründet. Das Charakteristische der (festgestellten) Verletzungshandlung der Beklagten besteht darin, dass sie Fotografien aus einem Gutachten des Klägers, nachdem sie diese eingescannt und digitalisiert hat, in einer Restwertbörse im Internet eingestellt und dadurch das gem. § 72 Abs. 1 UrhG geschützte Recht des Klägers an diesen Lichtbildern verletzt hat. Die durch das Einstellen von fünf Lichtbildern des Gutachtens begründete tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr erstreckt sich danach auch auf die 29 übrigen Lichtbilder des Gutachtens.

Eine abweichende Beurteilung ist - anders als das OLG angenommen hat - nicht deshalb geboten, weil es sich bei jeder einzelnen Fotografie des Gutachtens jeweils um einen eigenen Schutzgegenstand handelt, an dem jeweils ein eigenes Schutzrecht besteht. Entgegen der Ansicht des OLG kann die Verletzung eines bestimmten Schutzrechts die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für Verletzungen desselben Schutzrechts, sondern auch für Verletzungen anderer Schutzrechte begründen, soweit die Verletzungshandlungen trotz Verschiedenheit der Schutzrechte im Kern gleichartig sind.

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