24.06.2016

Verleihen von E-Books ist mit Verleihen herkömmlicher Bücher vergleichbar

Nach Ansicht von Generalanwalt Szpunar ist das Verleihen eines E-Books mit dem Verleihen eines herkömmlichen Buchs vergleichbar. Demnach sollte die allgemeine Regelung des Verleihrechts Anwendung finden, die u.a. eine angemessene Vergütung der Urheber im Rahmen der für das öffentliche Verleihwesen geltenden Ausnahme vorsieht.

EuGH, C-174/15 P: Schlussanträge des Generalanwalts vom 16.6.2016
Hintergrund:
Die Richtlinie 2006/115/EG, die u.a. das Recht zum Vermieten und Verleihen von Büchern betrifft, sieht vor, dass das ausschließliche Recht, dieses Vermieten und Verleihen zu erlauben oder zu verbieten, dem Urheber des Werks zusteht. Jedoch können die Mitgliedstaaten hinsichtlich des öffentlichen Verleihwesens unter der Voraussetzung, dass zumindest die Urheber eine angemessene Vergütung erhalten, Ausnahmen von diesem ausschließlichen Recht vorsehen.

Der Sachverhalt:
In den Niederlanden fällt das Verleihen von E-Books durch öffentliche Bibliotheken nicht unter diese Regelung. Die VOB - ein Verband, in dem alle öffentlichen Bibliotheken in den Niederlanden zusammengeschlossen sind - ist jedoch der Ansicht, dass diese Regelung auch für das Verleihen von E-Books gelten müsse. Vor diesem Hintergrund erhob sie gegen die Stichting Leenrecht - eine Stiftung, die mit der Erhebung der Urhebervergütung betraut ist - Klage, um ein dahingehendes Feststellungsurteil zu erreichen.

Die Klage der VOB betrifft das nach dem "One-copy-one-user"-Modell organisierte Verleihen: Das der Bibliothek zur Verfügung stehende E-Book wird vom Nutzer für die Verleihdauer heruntergeladen und ist für andere Bibliotheksnutzer während der gesamten Verleihdauer nicht verfügbar. Nach Ablauf dieses Zeitraums entfällt für den betreffenden Nutzer automatisch die Möglichkeit, das Buch zu nutzen, und dieses kann dann von einem anderen Nutzer ausgeliehen werden.

Das mit dem Rechtsstreit befasste erstinstanzliche Gericht in Den Haag ist der Ansicht, dass die Entscheidung über die Anträge der VOB von der Auslegung unionsrechtlicher Vorschriften abhänge und hat dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts:
Die zeitlich begrenzte öffentliche Zurverfügungstellung von E-Books durch öffentliche Bibliotheken fällt unter die Richtlinie zum Vermietrecht und Verleihrecht. Der Unionsgesetzgeber hat das Verleihen von E-Books nicht unter den in der Richtlinie verwendeten Begriff des "Verleihens" gefasst, weil die kommerziell verwertbare E-Book-Technologie zu jener Zeit erst am Anfang stand. Die Richtlinie ist daher "dynamisch" oder "evolutiv" auszulegen; das Verleihen von E-Books ist insoweit als ein Äquivalent zum Verleihen von Büchern in Papierform anzusehen. Nur mit einer solchen Auslegung kann in Anbetracht der rasanten technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung die Wirksamkeit der in Rede stehenden Regelung gewährleistet werden.

Im Übrigen besteht der Hauptzweck des Urheberrechts darin, die Interessen der Urheber zu schützen. Tatsächlich verleihen Bibliotheken derzeit aber Bücher in digitaler Form aufgrund von zwischen den Bibliotheken und den Verlagen geschlossenen Verträgen, was hauptsächlich den Verlagen oder anderen Zwischenhändlern im E-Book-Bereich zugutekommt, ohne dass die Urheber eine angemessene Vergütung erhalten. Nähme man hingegen an, dass das digitale Verleihen unter die Richtlinie fällt, erhielten die Urheber aus diesem Grund eine angemessene Vergütung, die zur Vergütung aus dem Verkauf der Bücher hinzukäme und von den mit den Verlagen geschlossenen Verträgen unabhängig wäre.

Eine Auslegung des Begriffs des Verleihens, die das Verleihen von E-Books einschließt, läuft auch weder dem Zweck noch dem Wortlaut der Richtlinie zuwider. Im Übrigen ist eine solche Auslegung weder mit den verschiedenen urheberrechtlichen Bestimmungen des Unionsrechts noch mit den internationalen Verpflichtungen der EU in irgendeiner Weise unvereinbar oder in Widerspruch. Die Mitgliedstaaten können mit der Einführung der Ausnahme für das öffentliche Verleihen von E-Books verlangen, dass diese Bücher der Öffentlichkeit zuvor durch den Rechteinhaber oder mit dessen Zustimmung zur Verfügung gestellt werden und dass sie aus legalen Quellen stammen. Hingegen hat der Mechanismus der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nichts mit dem Verleihrecht zu tun.

Linkhinweis:

Für die auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte Pressemitteilung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 64 vom 16.4.2016
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