12.04.2024

Vorsatzanfechtung: Unmittelbare Gläubigerbenachteiligung durch Veräußerung eines Vermögensgegenstands

Führt die Veräußerung eines Vermögensgegenstands zu einer unmittelbaren Gläubigerbenachteiligung, stellt dies ein eigenständiges Beweisanzeichen für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung dar. Ficht der Insolvenzverwalter sowohl das Verpflichtungs- als auch das hiervon getrennt und zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommene Erfüllungsgeschäft mit dem einheitlichen Rechtsschutzziel der Rückgewähr des zur Erfüllung Geleisteten an, handelt es sich um unterschiedliche Streitgegenstände und muss der Insolvenzverwalter bestimmen, in welcher Reihenfolge er die Ansprüche geltend machen will.

BGH v. 22.2.2024 - IX ZR 226/20
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Verwalter in dem auf Fremdantrag vom 7.8.2017 am 1.11.2017 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH (Schuldnerin). Er begehrt die Rückübertragung des Eigentums an mehreren Grundstücken, die ursprünglich im Eigentum der G. GmbH & Co. KG (G.) standen. Am 1.3.2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. eröffnet und ebenfalls der Kläger zum Verwalter bestellt. Seinerzeit lastete auf den Grundstücken eine Gesamtgrundschuld i.H.v. 3,5 Mio. € (zzgl. 15 % Zinsen und einer einmaligen Nebenleistung von 5 %), die im Zeitpunkt dieser Verfahrenseröffnung noch i.H.v. gut 3 Mio. € valutierte. Nach vom Kläger eingeholten Gutachten betrug der Verkehrswert der Grundstücke zum Stichtag 28.12.2009 unter der Voraussetzung der Altlastenfreiheit insgesamt 4,248 Mio. €. Ob es wertmindernde Altlasten gibt, ist zwischen den Parteien streitig.

Mit Vertrag vom 26.7.2010 (Unternehmenskaufvertrag) veräußerte der Kläger als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. deren wesentliche Vermögensgegenstände an die Schuldnerin, die Teil einer indischen Unternehmensgruppe war. Zu den wesentlichen Vermögensgegenständen gehörten auch die streitbefangenen Grundstücke, auf die ein Gesamtkaufpreis von 2,5 Mio. € entfiel. Dieser Teil des Kaufpreises sollte in vier Raten zu jeweils 625.000 € gezahlt und i.H.v. 1,25 Mio. € zur Ablösung der Grundschuld an die Grundschuldgläubigerin weitergeleitet werden. Die Schuldnerin zahlte die ersten beiden Raten. Danach kam sie ihren Verpflichtungen nicht mehr nach. Zunächst blieb die am 1.1.2013 fällige dritte Rate offen.

Am 26.4.2013 ließ sich der Kläger als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. eine vollstreckbare Ausfertigung der notariellen Urkunde erteilen. Ebenfalls am 26.4.2013 veräußerte die Schuldnerin die Grundstücke zu einem Preis von 1,25 Mio. € an die Beklagte, eine auf Mauritius ansässige Gesellschaft (Grundstückskaufvertrag). Der Kaufpreis sollte direkt auf das Treuhandkonto des Notars gezahlt werden, der den Unternehmenskaufvertrag beurkundet hatte. Zugleich vereinbarte die Schuldnerin mit der Beklagten, dass die Schuldnerin die Grundstücke von der Beklagten zu einem Preis i.H.v. 40.000 € netto mtl. zum Zwecke der Betriebsfortführung zurückmieten sollte. Im Zeitpunkt der Veräußerung war die Schuldnerin weder als Eigentümerin der Grundstücke eingetragen noch die Grundschuld gelöscht. Am 25.6.2013 beantragte der Kläger, wiederum als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der G., auf der Grundlage der vollstreckbaren Urkunde ein vorläufiges Zahlungsverbot. Am 3.7.2013, die vierte Kaufpreisrate war seit dem 1. Juli fällig, vereinbarte er mit der Schuldnerin und einer indischen Gesellschaft, dass der ausstehende Kaufpreis i.H.v. 1,25 Mio. € in mtl. Raten von 100.000 € ab dem 1.8.2013 auf das Treuhandkonto des Notars gezahlt werden solle, der den Unternehmenskaufvertrag beurkundet hatte.

Die Zahlung der restlichen 1,25 Mio. € erfolgte dann ratenweise bis zum 30.7.2014. Die Beklagte selbst zahlte davon nur 49.800 € (abzgl. Bankgebühren), und zwar nachdem die Schuldnerin ihr 50.000 € überwiesen hatte. Die weiteren Teilzahlungen erbrachten eine weitere auf Mauritius ansässige Gesellschaft, die mit der Schuldnerin durch einen Darlehensvertrag verbunden war (Darlehensgeberin), und die Schuldnerin selbst. Die Parteien streiten darüber, inwieweit die Zahlungen der Beklagten jedenfalls wirtschaftlich zuzurechnen sind. Am 15.9.2014 wurde die Schuldnerin als Eigentümerin der Grundstücke eingetragen. Am selben Tag erfolgte die Eintragung einer Auflassungsvormerkung zugunsten der Beklagten. Am 29.10.2014 wurde die Beklagte als Eigentümerin der nunmehr lastenfreien Grundstücke eingetragen. Die vereinbarte, ab dem Tag des Besitzübergangs auf die Beklagte fällige Miete i.H.v. 40.000 € mtl. für die (Weiter-)Nutzung der Grundstücke zahlte die Schuldnerin zu keinem Zeitpunkt. Am 18.7.2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. aufgehoben. Als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin begehrt der Kläger die Rückübertragung der an die Beklagte veräußerten Grundstücke. Er stützt sein Begehren insbesondere auf eine Anfechtung des Verpflichtungs- wie des Verfügungsgeschäfts nach §§ 129 ff InsO und auf § 826 BGB. Er behauptet, die Grundstücke seien im Zustand der erkannten Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin unter Wert an die Beklagte verschoben worden. Die Schuldnerin und die Beklagte hätten kollusiv zum Nachteil der Gläubiger der Schuldnerin zusammengewirkt.

LG und OLG wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann eine Anfechtbarkeit gem. § 133 Abs. 1 InsO in der auf den Streitfall anwendbaren (Art. 103j Abs. 1 EGInsO) ab dem 5.4.2017 geltenden Fassung nicht verneint werden. Das gilt insbesondere für den von § 133 Abs. 1 InsO vorausgesetzten Gläubigerbenachteiligungsvorsatz.

Der Kläger hat den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin auf Beweisanzeichen gestützt, die in der Art und Weise der angefochtenen Rechtshandlung und der sie begleitenden Umstände liegen. Die angefochtene Entscheidung hält (auch) insoweit rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Kläger hat behauptet, die Veräußerung der Grundstücke durch die Schuldnerin an die Beklagte sei unter Wert erfolgt. Die Veräußerung eines Gegenstands der künftigen Masse unter Wert kann eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung i.S.v. § 129 Abs. 1 InsO begründen, wenn die objektive Gläubigerbenachteiligung ohne das Hinzutreten weiterer Umstände schon mit der Vornahme der Rechtshandlung eingetreten ist Eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung ist ein eigenständiges - wenn auch für sich genommen nicht ausreichendes - Beweisanzeichen für die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung. Der Schluss auf den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz erfordert eine Gesamtwürdigung der das Rechtsgeschäft begleitenden Umstände.

Mit der vom OLG gegebenen Begründung kann ein Benachteiligungsvorsatz im vorstehenden Sinne nicht verneint werden. Die vom OLG herangezogene, der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 138 BGB entlehnte 90 %-Grenze gilt für die Prüfung des Benachteiligungsvorsatzes nach § 133 Abs. 1 InsO nicht. Insbesondere schließt eine Unterschreitung der Grenze den Benachteiligungsvorsatz nicht aus. Zudem ist es für den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin unerheblich, ob die Beklagte den gutachterlich bestimmten Wert der Grundstücke kannte. Maßgeblich sind vielmehr die Kenntnisse der Schuldnerin. Die Geschäftsleitung der Schuldnerin kannte den gutachterlich bestimmten Wert von 4,248 Mio. €. Denkfehlerhaft ist zudem die Erwägung des OLG, einer Veräußerung unter Wert stehe die von der Beklagten eingegangene Verpflichtung entgegen, die Grundstücke gegen Zahlung einer mtl. Miete i.H.v. 40.000 € netto an die Schuldnerin zu vermieten. Das OLG unterstellt dabei, der Mietwert der Grundstücke könne oberhalb der vereinbarten Miete gelegen haben. Ein höherer Mietwert würde indes den Verkehrswert der Grundstücke gesteigert haben. Richtigerweise deutet die Höhe der vereinbarten Miete auf einen Wert der Grundstücke hin, der den vereinbarten Kaufpreis i.H.v. 1,25 Mio. € überstieg.

Der angefochtene Beschluss war danach aufzuheben und die Sache an das OLG zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Mit der Anfechtung sowohl des Grundstückskaufvertrags als auch der hiervon getrennt und später vorgenommenen Übertragung des Eigentums an den Grundstücken leitet der Kläger ein einheitliches Klagebegehren aus zwei prozessualen Ansprüchen her. Die daraus folgende alternative Klagehäufung ist unzulässig. Der Kläger muss bestimmen, in welcher Reihenfolge er die Ansprüche geltend machen will. Bei der Geltendmachung mehrerer insolvenzanfechtungsrechtlicher Rückgewähransprüche aus unterschiedlichen Lebenssachverhalten handelt es sich auch dann um mehrere Streitgegenstände, wenn diese auf das nämliche Klagebegehren gerichtet sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH wird der Streitgegenstand durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Der Streitgegenstand der Insolvenzanfechtungsklage wird maßgeblich bestimmt durch die jeweils angefochtene Rechtshandlung (vgl. § 129 Abs. 1, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO). Deshalb handelt es sich um eine kumulative Klagehäufung, wenn der Verwalter nebeneinander die Anfechtbarkeit einer Mehrzahl von Rechtshandlungen geltend macht, seine Klage etwa kumulativ auf die Anfechtung mehrerer Deckungshandlungen stützt.

Daran ändert nichts, wenn der die jeweiligen Anfechtungsvoraussetzungen ausfüllende Lebenssachverhalt, zum Beispiel die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, augenscheinlich derselbe ist. Die Anfechtbarkeit jeder einzelnen Rechtshandlung ist gesondert und bezogen auf den nach § 140 InsO jeweils maßgeblichen Zeitpunkt zu prüfen. Ebenso verhält es sich, wenn mehrere insolvenzanfechtungsrechtliche Rückgewähransprüche geltend gemacht werden, die auf das nämliche Klagebegehren gerichtet sind. Nur das Rechtsschutzziel ist dann das Gleiche, die Voraussetzungen sind jedoch jeweils gesondert zu prüfen und auch die Folgen der Anfechtbarkeit können voneinander abweichen. So erfolgt die Rückabwicklung der aus einem Verpflichtungsgeschäft erbrachten Leistungen zu Gunsten der Insolvenzmasse nach allgemeinen Vorschriften, während sich die Rechtsfolgen der Anfechtung des Erfüllungsgeschäfts aus § 143 InsO ergeben. Vor diesem Hintergrund darf der Verwalter seiner Klage mehrere angefochtene Rechtshandlungen nicht alternativ zugrunde legen und damit die Wahl der Prüfungsreihenfolge dem Gericht überlassen.

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