28.03.2024

Zu der Amtshaftung einer Börse und der Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils

Für Amtspflichtverletzungen des Organs einer Börse haftet das Land, das den Rechtsträger der Börse durch die Erteilung der Erlaubnis gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 BörsG zu der Errichtung und dem Betrieb der Börse berechtigt und verpflichtet hat. Zivilgerichte sind im Amtshaftungsprozess an rechtskräftige Entscheidungen von Verwaltungsgerichten im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung (§ 121 VwGO) gebunden. Lehnt das Oberverwaltungsgericht einen auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des die Klage als unbegründet abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts gestützten Berufungszulassungsantrag (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ab, weil es - nach strikter rechtlicher Prüfung - zum Ergebnis kommt, die Klage sei bereits unzulässig, erwächst das vorinstanzliche Urteil nur nach Maßgabe der Gründe des Nichtzulassungsbeschlusses in Rechtskraft, das heißt mit der Begründung, dass die Klage unzulässig war.

BGH v. 22.2.2024 - III ZR 13/23
Der Sachverhalt:
Das klagende Wertpapierhandelsunternehmen mit Sitz in Chicago macht gegen das beklagte Land Amtshaftungsansprüche geltend unter dem Vorwurf, sie sei durch einen Beschluss des Sanktionsausschusses der Terminbörse E. D. (Börse) vom 20.5.2015 amtspflichtwidrig vom dortigen Handel ausgeschlossen worden. Die Nebenintervenientin ist der Rechtsträger der Börse, dem der Beklagte die Erlaubnis zu deren Betrieb erteilt hat. Die Klägerin ist auf den Handel mit Futures spezialisiert und an der Börse zum Handel zugelassen. Sie verfolgt eine sog. antizipatorische Handelsstrategie, bei der sie Kauf- oder Verkaufsaufträge in das Orderbuch eingibt und diese vor Ausführung löscht, während sie von ihr später eingegebene, entgegengesetzte Orders zur Ausführung kommen lässt. Der Sanktionsausschuss der Börse verhängte am 24.6.2014 sowie am 15.12.2014 Ordnungsgelder gegen die Klägerin i.H.v. 90.000 € bzw. 250.000 € wegen - seiner Auffassung nach - unzulässiger Handelsaktivitäten in zwei Zeiträumen in den Jahren 2013 bis 2014. Durch sofort vollziehbaren Beschluss des Sanktionsausschusses vom 20.5.2015 wurden die Klägerin sowie ihr CEO wegen Handelsaktivitäten seit Jahresanfang 2015 für dreißig Handelstage von der Börse ausgeschlossen.

Gegen den Sanktionsbeschluss vom 20.5.2015 erhob die Klägerin (nicht ihr CEO) beim VG Anfechtungsklage und stellte einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 Fall 2 VwGO. Das VG wies mit Verfügung vom 27.5.2015 darauf hin, es gehe davon aus, dass die Börse, die dortige Antragsgegnerin, bis zur Entscheidung über den Eilantrag von Vollstreckungshandlungen absehe. Über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Fall 2 VwGO entschied das VG bis zum Ablauf der in dem Sanktionsbeschluss bestimmten Ausschlussfrist nicht. Die Klägerin nahm in dieser Zeit nicht am Handel an der Börse teil und erhob anschließend Fortsetzungsfeststellungsklage. Diese wies das VG durch Urteil vom 12.1.2016 ab, da der Beschluss des Sanktionsausschusses vom 20.5.2015 rechtmäßig sei. Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der VGH mit Beschluss vom 17.2.2017 ab. In der Begründung ist ausgeführt, es könne dahinstehen, ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen des VG zur Begründetheit der Fortsetzungsfeststellungsklage bestünden, da alles dafür spreche, dass die Klägerin kein "berechtigtes Interesse" an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Sanktionsbeschlusses habe, so dass sich die Klage als unzulässig erweise.

Die Sanktionsbeschlüsse vom 24.6.2014 und 15.12.2014 wurden auf eine von der Klägerin erhobene, in erster Instanz erfolglose Anfechtungsklage vom VGH durch Urteil vom 20.1.2021 bzw. Beschluss vom 24.2.2022 aufgehoben. Die Klägerin macht geltend, durch den - ihrer Auffassung nach ebenfalls - rechtswidrigen Ausschluss vom Börsenhandel sei ihr ein Gewinn i.H.v. rd. 1 Mio. € entgangen und ein weiterer Schaden aufgrund der dem Handelsausschluss folgenden Reduktion der Handelsaktivitäten entstanden, für den sie im Wege der Teilklage rd. 16.000 € beansprucht.

LG und OLG wiesen die danach auf Zahlung von insgesamt 1 Mio. € gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des OLG auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Die Vorinstanzen sind noch zutreffend davon ausgegangen, dass der Sanktionsausschuss der Börse in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes gehandelt hat und etwaige daraus resultierende Amtshaftungsansprüche sich gegen den Beklagten richten.

Aufgaben und Organisation der Börse sind im Börsengesetz geregelt. Danach ist die Börse eine teilrechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 2 Abs. 1 BörsG) und erbringt ihre Leistungen, die ihrem Gegenstand nach der öffentlichen Daseinsvorsorge zuzuordnen sind, in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts. Dies stellt einen hinreichenden Grund für die Anwendbarkeit des Amtshaftungsrechts dar. Passivlegitimiert ist das Land, hier also der Beklagte, das den Rechtsträger der Börse durch die Erteilung der Erlaubnis gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 BörsG zu der Errichtung und dem Betrieb der Börse berechtigt und verpflichtet und damit ihm - und durch ihn vermittelt der Börse - diese öffentliche Aufgabe anvertraut hat. Die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit des Beklagten wird durch die Regelung zum Regress bei einer Inanspruchnahme des Landes im Wege der Amtshaftung in § 5 Abs. 6 BörsG bestätigt, ohne dass es darauf ankommt, ob die Erlaubnis gem. § 4 Abs. 1 BörsG als Beleihung zu qualifizieren ist.

Das OLG hat indessen zu Unrecht eine Bindungswirkung des Urteils des VG Frankfurt a.M. vom 12.1.2016 für den Amtshaftungsprozess angenommen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind die Zivilgerichte im Amtshaftungsprozess an rechtskräftige Entscheidungen von Verwaltungsgerichten im Rahmen ihrer Rechtskraftwirkung (§ 121 VwGO) gebunden. Diese tritt ein, wenn die Entscheidung der materiellen Rechtskraft fähig und formell rechtskräftig geworden ist. In materieller Hinsicht ist die Bindungswirkung gem. § 121 VwGO auf den Streitgegenstand beschränkt. Wird durch ein rechtskräftiges Urteil eines Verwaltungsgerichts auf eine Anfechtungsklage hin ein Verwaltungsakt aufgehoben, so ist damit zugleich dessen Rechtswidrigkeit festgestellt; in gleicher Weise tritt die Bindung ein, wenn die Wirksamkeit und Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes durch das rechtskräftige Urteil eines Verwaltungsgerichts bejaht und deshalb die Anfechtungsklage aus sachlichen Gründen abgewiesen wird. Ebenso wird durch eine Fortsetzungsfeststellungsklage rechtskräftig über die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts entschieden. Das VG hat vorliegend durch die Abweisung der Fortsetzungsfeststellungsklage festgestellt, dass die Entscheidung des Sanktionsausschusses rechtmäßig ist. Diese Entscheidung ist mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung gem. § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO formell rechtskräftig geworden.

Das bedeutet indessen nicht, dass das erstinstanzliche Urteil mit dem Inhalt, dass die Klage unbegründet war, materiell rechtskräftig geworden ist. Ein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des die Klage als unbegründet abweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts gestützter Berufungszulassungsantrag (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist auch dann abzulehnen, wenn, wie hier, der VGH - nach strikter rechtlicher Prüfung - zum Ergebnis kommt, die Klage sei bereits unzulässig, da sich in diesem Fall am Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung nichts ändert. Nach verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung erwächst in einer solchen Konstellation das vorinstanzliche Urteil nur nach Maßgabe der Gründe des Nichtzulassungsbeschlusses des Berufungsgerichts in Rechtskraft, das heißt mit der Begründung, dass die Klage unzulässig war. So liegt der Fall hier.

Danach ist das Urteil des VG vom 12.1.2016 als Prozessurteil rechtskräftig geworden. Zwar ergibt sich dies nicht aus dem Tenor des Beschlusses des VGH über die Nichtzulassung der Berufung. In den Gründen hat er jedoch die Unzulässigkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage als erwiesen bezeichnet, wohingegen er ausdrücklich offengelassen hat, ob die Ausführungen des VG zur Begründetheit dieser Klage ernstlichen Zweifeln unterliegen. Unter Heranziehung der Gründe der Entscheidung ergibt sich damit unzweifelhaft, dass der VGH das verwaltungsgerichtliche Urteil nicht in der Sache bestätigt, sondern vielmehr entschieden hat, dass eine Sachentscheidung unzulässig sei. Das Urteil des VG entfaltet daher materielle Rechtskraft nur nach Maßgabe des Beschlusses des VGH, so dass eine Bindung im Amtshaftungsprozess an die Würdigung, dass der Sanktionsbeschluss rechtmäßig war, nicht bestehen kann.

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Rechtsprechung:
Zum Ausschluss der Staatshaftung im Kapitalmarktaufsichtsrecht
OLG Frankfurt a. M. vom 06.02.2023 - 1 U 173/22
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