Zur Frage der Inkongruenz von Verrechnungen im debitorischen Bankenkontokorrent
BGH 7.7.2011, IX ZR 100/10Die Schuldnerin nahm vor Stellung eines Eigenantrags bei der beklagten Sparkasse ungekündigten Überziehungskredit in Anspruch, dessen Betragsgrenze bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens im November 2005 nicht überschritten wurde. Im dritten Monat vor der Antragstellung verringerte sich die Überziehung um 5.862 €, im zweiten Monat um weitere 62.374 €, im letzten Monat erhöhte sie sich wieder um 63.185 €. Mit seiner Klage verlangt der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin den Rückführungsbetrag des Überziehungskredits aus dem zweiten und dritten Monat vor Antragsstellung von zusammen 68.236 € nebst Zinsen zur Masse.
LG und OLG wiesen die Klage ab. Eingeschlossen war der Betrag von 5.051 €, der bei Insolvenzeröffnung als Kreditrückführung verblieb. Die Revision des Klägers blieb vor dem BGH ganz überwiegend ohne Erfolg. Der BGH hob das Berufungsurteil allerdings insoweit auf, als die Klage i.H.v. 5.051 € abgewiesen worden ist und verwies den Rechtsstreit in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Die Gründe:
Das OLG hat mit zutreffender Begründung die Einstellung der Gutschriften in das Sparkassenkontokorrent und die Verrechnungen der Beklagten innerhalb des Kontokorrents nicht als nach § 131 Abs. 1 InsO inkongruent gewertet.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist die bankmäßige Verrechnung von Gutschriften im ungekündigten Kontokorrent mit Überziehungskredit insoweit kongruent, als die Bank erneute Verfügungen des Schuldners über diese Deckungsmasse zugelassen hat. Die Kongruenzfrage kann hierbei innerhalb des Anfechtungszeitraums für den gleichen Betrag nur einheitlich beantwortet werden. Demgegenüber führt die Verrechnung in kritischer Zeit eingehender Zahlungen, denen keine Belastungsbuchungen gegenüberstehen, bei ungekündigtem Überziehungskredit wegen der damit verbundenen Kredittilgung zu einer inkongruenten Deckung, weil die Erfüllung des Rückzahlungsanspruchs noch nicht verlangt werden kann.
Die Revision beanstandet, als Anfechtungszeitraum im Sinne dieser Rechtsprechung sei entgegen der Meinung des OLG nicht der gesetzliche Zeitrahmen der besonderen Insolvenzanfechtung zu verstehen, sondern die zeitlichen Grenzen der Anfechtungstatbestände des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO einerseits - der letzte Monat vor der Antragstellung und die Zeit danach - und der § 131 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO andererseits - der zweite und dritte Monate vor dem Eröffnungsantrag. Das ist rechtlich nicht richtig.
Werden Rechtshandlungen nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 InsO angefochten, kann eine drohende Inkongruenz von Verrechnungen durch die Weiterentwicklung des Kontokorrents im letzten Monat vor der Antragstellung oder danach noch behoben werden. Eine Gläubigerbenachteiligung wäre nicht mehr gem. § 131 Abs. 1 Nr. 2 oder 3, § 143 Abs. 1 InsO wegen inkongruenter Deckung zu beseitigen, wenn das Kontokorrent zur Zeit der Kündigung oder der Verfahrenseröffnung einen ebenso hohen oder höheren Schuldsaldo aufgewiesen hätte wie zu Beginn des Anfechtungszeitraums. Bis dahin fehlt es für die Kongruenzprüfung an einem abgeschlossenen Gläubigerverhalten.
Weil die Beklagte i.H.v. 63.185 € eine kongruente Deckung erlangt hat, ist die allein auf § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO gestützte Klage - Voraussetzungen des § 130 InsO sind nicht vorgetragen - in diesem Umfang nebst der darauf entfallenden Zinsen unbegründet. Fehlerhaft - und in diesem Umfang aufzuheben und zurückzuverweisen - war das Berufungsurteil, soweit es die Klage darüber hinaus in vollem Umfang abgewiesen hat, weil der Kläger angeblich die inkongruente Kreditrückführung von 5.051 € innerhalb des Anfechtungszeitraums nicht geltend gemacht habe. Das LG hat diese Hilfsbegründung als Hilfsanspruch auch wegen Verjährung nach § 146 InsO abgewiesen. Beides trifft nicht zu.
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