11.07.2013

Zur unterschiedslosen Erhebung einer Abgabe für Privatkopien auf den Erstverkauf von Trägermaterial

Die unterschiedslose Erhebung einer Abgabe für Privatkopien auf den Erstverkauf von Trägermaterial kann unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Unionsrecht vereinbar sein. Darüber hinaus kann unter bestimmten Voraussetzungen eine widerlegbare Vermutung dafür bestehen, dass an Privatpersonen verkauftes Trägermaterial für private Zwecke genutzt wird.

EuGH 11.7.2013, C-521/11
Der Sachverhalt:
Nach dem Unionsrecht räumen die Mitgliedstaaten Urhebern, Künstlern, Herstellern und Sendeunternehmen grundsätzlich das ausschließliche Recht ein, Vervielfältigungen ihrer Werke, der Aufzeichnungen ihrer Darbietungen, ihrer Tonträger, ihrer Filme und der Aufzeichnungen ihrer Sendungen zu erlauben oder zu verbieten. Die Mitgliedstaaten können allerdings Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf diese ausschließlichen Rechte vorsehen. So können sie z.B. die Anfertigung von Privatkopien erlauben.

Ein Mitgliedstaat, der von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, muss jedoch dafür sorgen, dass die Rechtsinhaber einen "gerechten Ausgleich" erhalten. Dadurch soll den Rechtsinhabern die ohne ihre Genehmigung erfolgte Vervielfältigung ihrer geschützten Werke oder sonstigen Schutzgegenstände vergütet werden. In Österreich besteht der gerechte Ausgleich in einer Abgabe für Privatkopien, die beim Erstverkauf von zur Vervielfältigung geeignetem Trägermaterial wie CD- und DVD‑Rohlingen, Speicherkarten und MP3-Playern erhoben wird (sog. Leerkassettenvergütung).

Austro-Mechana, eine österreichische Gesellschaft zur Verwertung von Urheberrechten, verklagte Amazon vor dem Handelsgericht Wien auf Zahlung einer Leerkassettenvergütung für in den Jahren 2002 bis 2004 in Österreich verkauftes Trägermaterial. Sie begehrt die Zahlung eines Betrags von rd. 1,85 Mio. € für das erste Halbjahr 2004 und beantragte, Amazon zu verpflichten, ihr insoweit Rechnung zu legen, als es zur Bezifferung der für den verbleibenden Zeitraum geschuldeten Beträge notwendig sei.

Die Instanzgerichte gaben dem Verpflichtungsantrag statt und behielten sich die Entscheidung über den Zahlungsantrag vor. Amazon ist der Auffassung, dass die Leerkassettenvergütung aus mehreren Gründen gegen das Unionsrecht verstoße, und rief deshalb Obersten Gerichtshof an. Dieser fragt den EuGH nach der Auslegung der einschlägigen unionsrechtlichen Bestimmungen.

Die Gründe:
Die Leerkassettenvergütung in Österreich wird unterschiedslos auf den Erstverkauf von Trägermaterial erhoben. Gleichzeitig gibt es die Möglichkeit, die Vergütung in bestimmten Fällen erstattet zu bekommen. Insoweit ist festzustellen, dass das Unionsrecht die Erhebung der Abgabe für Privatkopien nicht erlaubt, wenn das Trägermaterial offenkundig nicht zur Anfertigung solcher Kopien verwendet werden soll. Allerdings steht das Unionsrecht einer solchen allgemeinen Erhebungsregelung mit einer Erstattungsmöglichkeit für den Fall, dass keine Privatkopien angefertigt werden sollen, unter bestimmten Voraussetzungen nicht entgegen.

Es ist daher Aufgabe des Obersten Gerichtshofs, im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der besonderen Umstände der österreichischen Regelung und der durch das Unionsrecht vorgegebenen Grenzen zu prüfen, ob praktische Schwierigkeiten eine solche Regelung zur Finanzierung des gerechten Ausgleichs rechtfertigen. Gleichfalls ist zu prüfen, ob der Rückerstattungsanspruch wirksam ist und nicht so ausgestaltet ist, dass er die Erstattung der gezahlten Abgabe übermäßig erschwert.

Grundsätzlich kann widerlegbar vermutet werden, dass Privatpersonen Trägermaterial zu privaten Zwecken nutzen, sofern zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens müssen praktische Schwierigkeiten bei der Ermittlung des privaten Zwecks der Nutzung des Trägermaterials die Aufstellung einer solchen Vermutung rechtfertigen, und zweitens darf diese Vermutung nicht dazu führen, dass die Abgabe für Privatkopien in Fällen auferlegt wird, in denen das Trägermaterial offenkundig zu nicht privaten Zwecken genutzt wird.

Der Umstand, dass die Hälfte des Erlöses der Leerkassettenvergütung nicht unmittelbar an diejenigen gezahlt wird, denen der gerechte Ausgleich zusteht, sondern an zu ihren Gunsten geschaffene soziale und kulturelle Einrichtungen, kann dem Anspruch auf einen gerechten Ausgleich oder der zur Finanzierung dieses Ausgleichs bestimmten Abgabe für Privatkopien nicht entgegenstehen, sofern die sozialen und kulturellen Einrichtungen tatsächlich den Berechtigten zugute kommen und ihre Funktionsmodalitäten nicht diskriminierend sind.

I.Ü. steht es der Pflicht zur Zahlung einer Abgabe wie der Leerkassettenvergütung nicht entgegen, dass eine entsprechende Abgabe bereits in einem anderen Mitgliedstaat entrichtet worden ist. Wer diese Abgabe zuvor in einem für ihre Erhebung territorial nicht zuständigen Mitgliedstaat entrichtet hat, kann nämlich von diesem Staat nach dessen nationalem Recht die Erstattung der Abgabe verlangen.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 89 vom 11.7.2013
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