05.04.2024

Fristgerechter Eingang eines Fristverlängerungsantrags auch bei unzutreffendem Aktenzeichen

Das Berufungsgericht darf eine Berufung nicht gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückweisen, ohne zuvor über den rechtzeitig eingegangenen Antrag des Berufungsführers auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zum Hinweisbeschluss gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO entschieden zu haben. Dem fristgerechten Eingang des Fristverlängerungsantrags bei Gericht steht es nicht entgegen, dass der betreffende Schriftsatz irrtümlich mit einem unzutreffenden Aktenzeichen versehen ist. Allein entscheidend ist, dass er vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Gerichts gelangt ist.

BGH v. 20.2.2024 - VIII ZR 238/22
Der Sachverhalt:
Die Klägerin macht nach Erklärung des Rücktritts von einem Fahrzeugkaufvertrag Rückabwicklungsansprüche gegen die beklagte Verkäuferin geltend. Das LG gab ihrer Klage weitgehend statt. Die Beklagte legte gegen das landgerichtliche Urteil Berufung ein. Das Berufungsverfahren wurde zunächst beim 7. Zivilsenat des OLG geführt und sodann dem 9. Zivilsenat desselben Gerichts übertragen. Mit Beschluss vom 7.9.2022 wies der 9. Zivilsenat darauf hin, dass er die Zurückweisung der Berufung gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO beabsichtige, und setzte der Beklagten eine Frist zur Stellungnahme bis zum 7.10.2022. Mit einem am 6.10.2022 eingegangenen Schriftsatz bat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit der Begründung, aufgrund einer kurzen Auslandsreise des Sachbearbeiters habe die notwendige Erörterung mit der Beklagten noch nicht stattfinden können, um Verlängerung der Stellungnahmefrist um zwei Wochen. Der Schriftsatz enthält irrtümlich das Aktenzeichen des vormals zuständigen 7. Zivilsenats. Eine Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag erging nicht.

Das OLG wies die Berufung mit Beschluss vom 17.10.2022 zurück; die Beklagte hab innerhalb der eingeräumten Frist keine Stellungnahme abgegeben. Am 21.10.2022 ging beim OLG eine - mit dem zutreffenden Aktenzeichen versehene - Stellungnahme der Beklagten zum Hinweisbeschluss ein. Das OLG wies auf die zwischenzeitlich ergangene abschließende Entscheidung hin und verwarf eine nachfolgend erhobene Anhörungsrüge der Beklagten als unzulässig. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hob der BGH den Zurückweisungsbeschluss des OLG vom 17.10.2022 auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Das OLG hat den Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Denn es hat die Berufung der Beklagten gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen, ohne zuvor über den rechtzeitig eingegangenen Antrag auf Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zum Hinweisbeschluss gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO entschieden zu haben. Hierdurch hat es der Beklagten die Möglichkeit genommen, auf den weiteren Verfahrensablauf und den Inhalt der Entscheidung des OLG Einfluss zu nehmen.

Es liegt eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs grundsätzlich auch dann vor, wenn das Gericht einen fristgerecht eingegangenen Antrag auf Verlängerung der zu einer Stellungnahme gesetzten Frist übergeht und seine den Rechtszug abschließende Entscheidung erlässt, ohne über den Fristverlängerungsantrag entschieden zu haben. Insofern ist dem OLG eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung nach Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Es hat die Berufung der Beklagten durch Beschluss gem. § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO zurückgewiesen, ohne über deren rechtzeitig gestellten Antrag auf Verlängerung der Stellungnahmefrist zum Hinweisbeschluss entschieden zu haben. Gem. § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO hat das Berufungsgericht oder der Vorsitzende die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Der hier von der Beklagten erstmals gestellte und mit einem erheblichen Grund - einer aufgrund einer Auslandsreise des Sachbearbeiters noch nicht erfolgten Erörterung mit der Partei - begründete Fristverlängerungsantrag war bereits am 6.10.2022 und damit innerhalb der noch laufenden Stellungnahmefrist beim OLG eingegangen. Dem fristgemäßen Eingang steht nicht entgegen, dass der betreffende Schriftsatz fälschlicherweise mit dem Aktenzeichen des vormals zuständigen 7. Zivilsenats - und nicht mit dem des nunmehr zuständigen 9. Zivilsenats - des OLG versehen war und deshalb der Geschäftsstelle des 9. Zivilsenats erst nach Ablauf der Stellungnahmefrist vorlag. Denn unter Berücksichtigung der weiteren Angaben in dem lediglich aus zwei Sätzen bestehenden Schriftsatz - insbesondere der namentlichen Bezeichnung der Parteien, der Nennung des betreffenden Hinweisbeschlusses mit Datum und Ende der gesetzten Frist sowie der Angabe des (vormaligen) Aktenzeichens - ergab sich eindeutig, dass sich der Antrag auf das von den Parteien nunmehr vor dem 9. Zivilsenat geführte Berufungsverfahren bezog.

Für den fristgerechten Eingang eines Schreibens bei Gericht ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet oder der betreffenden Geschäftsstelle übergeben wird. Das Gesetz schreibt die Angabe eines bereits zugeordneten und mitgeteilten Aktenzeichens nicht vor. Diese soll lediglich die Weiterleitung innerhalb des Gerichts erleichtern und für eine rasche Bearbeitung sorgen. Für den fristgerechten Eingang des Fristverlängerungsantrags der Beklagten war deshalb allein entscheidend, dass dieser vor Ablauf der gesetzten Frist in den Machtbereich des Berufungsgerichts gelangt war.

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