24.03.2016

Keine persönliche Haftung der von einem Jugendamt beauftragten Sachverständigen für grob fehlerhaftes Gutachten

Eine Sachverständige, die in einem vom Jugendamt in Auftrag gegebenen Gutachten den hochgradigen Verdacht einer Kindesmisshandlung (Schütteltrauma) äußert und hierfür als Beleg Flüssigkeitsansammlungen und Blutungen im Gehirn anführt, handelt grob fahrlässig, wenn sie vorgebrachte Alternativursachen für den Befund ohne tragfähige Begründung kategorisch ausschließt. Sind die festgestellten Auffälligkeiten tatsächlich nicht auf eine Kindesmisshandlung, sondern auf eine der Sachverständigen bekannte Erbkrankheit der Kinder (hier: "Wasserkopf") zurückzuführen, haftet die Gutachterin für Schmerzensgeldansprüche der Eltern und ihrer Kinder allerdings nicht persönlich.

OLG Koblenz 18.3.2016, 1 U 832/15
Der Sachverhalt:
Die vier Kläger, zwei Kleinkinder sowie ihre Eltern, begehren von der Beklagten, einer an der Mainzer Uniklinik angestellten Rechtsmedizinerin, sowie von der Klinik selbst Schmerzensgeld wegen fehlerhafter Gutachtenerstattung. Die Beklagte erstellte im Jahre 2013 auf Veranlassung eines Jugendamts aus der Pfalz ein Gutachten zu der Frage, ob sich anhand der Krankenunterlagen der Kinder Anhaltspunkte für misshandlungsbedingte Verletzungen ergäben. In ihrem Gutachten kam sie zu dem Ergebnis, es sei sehr wahrscheinlich, dass ein oder mehrere Schütteltraumata die Ursache für die bei einem der beiden Kinder festgestellte Symptomatik seien; bzgl. des Geschwisterkindes verneinte sie den Verdacht auf eine Misshandlung.

Unter Berufung auf das Gutachten beantragte das Jugendamt beim Familiengericht mit Erfolg den Erlass einer einstweiligen Anordnung, wonach ihm das Aufenthaltsrecht für beide Kinder vorläufig übertragen werden sollte. Mehr als ein halbes Jahr waren die beiden damals 7 und 18 Monate alten Kinder in der Folgezeit bei Pflegefamilien untergebracht. Spätere Gutachten kamen jedoch zu dem Ergebnis, dass die festgestellten Auffälligkeiten Folge einer Erbkrankheit waren. Die Kinder leiden demnach unter einem benignen Hydrozephalus (sog. Wasserkopf); dies hat zur Folge, dass schon bei geringsten Erschütterungen Blutgerinnsel entstehen können. Die Kläger machten Schmerzensgeldansprüche sowohl gegenüber der Uniklinik als auch gegenüber der Beklagten als Verfasserin des fehlerhaften Gutachtens geltend.

Das LG gab der Klage teilweise statt und verurteilte die Beklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld. Die unmittelbar vom Jugendamt beauftragte Beklagte hafte für das grob fehlerhafte und den wissenschaftlichen Standards nicht entsprechende Gutachten auch persönlich. Die gegen die Uniklinik gerichtete Klage wies das LG ab. Mangels eigener Beauftragung habe diese für die Fehler der Rechtsmedizinerin nicht einzustehen. Auf die Berufung der Beklagten änderte das OLG das Urteil ab und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Die Beklagte, die von dem Jugendamt mit der Erstellung eines Gutachtens zum bestehenden Verdacht einer Kindesmisshandlung beauftragt worden war, hat grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstellt. Sie hat greifbare Alternativursachen für die bei den Kindern festgestellten Auffälligkeiten wie den erblich bedingten sog. "Wasserkopf" und einen vorangegangenen Verkehrsunfall ohne tragfähige Begründung kategorisch und ohne Vorbehalt ausgeschlossen und sich dabei auch fachfremde Kompetenz, wie eine Unfallanalyse, angemaßt. Dies stellt eine grob fahrlässige Außerachtlassung gutachterlicher Sorgfaltspflichten dar.

Aufgrund der Fehlerhaftigkeit des Gutachtens wurde den Eltern vom zuständigen Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder vorläufig entzogen und die Kinder wurden vorübergehend bei Pflegeeltern untergebracht. Für das grob fahrlässig erstellte unrichtige Gutachten haftet aber nicht die Sachverständige persönlich, sondern der Landkreis als Träger des die Sachverständige beauftragenden Jugendamtes. Denn das Jugendamt mit seiner Wächterfunktion über das Kindeswohl hat die Sachverständige im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages als externe Fachkraft hinzugezogen und seinen beim Familiengericht gestellten Schutzantrag auf deren Gutachten gestützt. Daher hat die Sachverständige bei ihrer Gutachtenerstellung in Ausübung eines öffentlichen Amtes gehandelt, sodass sie für ihr grob fahrlässig erstelltes unrichtiges Gutachten nicht persönlich einzustehen hat, sondern die Körperschaft, die sie beauftragt hat.

OLG Koblenz PM vom 18.3.2016
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