02.02.2016

Zur Frage der Beschlagnahme eines privaten Grundstücks zur Bereitstellung von Unterkünften für Flüchtlinge

Drohende Obdachlosigkeit stellt zwar eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. An die Zulässigkeit einer auf die Generalklausel des § 11 Nds. SOG gestützten Beschlagnahme privater Unterkünfte zur Unterbringung von Flüchtlingen, denen unmittelbar eine Obdachlosigkeit droht, sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Eigentumsrecht des Grundstückseigentümers allerdings hohe Anforderungen zu stellen.

OVG Lüneburg 1.12.2015, 11 ME 230/15
Der Sachverhalt:
Auf dem Grundstück des Antragstellers befindet sich ein bereits entkerntes Gebäude, in dem früher ein Kinder- und Jugendheim untergebracht war. In Zukunft soll darauf laut Investor ein neues Wohngebiet entstehen. Die Stadt Lüneburg hat Anfang Oktober 2015 die Beschlagnahme des Grundstücks - befristet auf sechs Monate - verfügt und angeordnet, dass der Eigentümer das Grundstück bis zum 12.10.2015 zu räumen habe. Gleichzeitig wurde die Einweisung von 50 Flüchtlingen in das Gebäude verfügt und eine Entschädigung festgesetzt.

Zur Begründung führte die Antragsgegnerin im Wesentlichen aus: Von einer Anhörung des Antragstellers werde abgesehen, weil eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug und im öffentlichen Interesse geboten sei. Die Voraussetzungen des § 11 Nds. SOG seien gegeben. Der Antragsteller könne auch als sog. Nichtstörer in Anspruch genommen werden. Die Höhe der Entschädigung sei mit 4 €/ qm für ein Gebäude ohne Heizungsanlage angemessen und marktüblich.

Hiergegen klagte der Antragsteller. Über die Klage wurde noch nicht entschieden. Auf seinen Antrag hat das VG mit Beschluss vom 9.10.2015 (Az.: 5 B 98/15) die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin wieder hergestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin blieb vor dem OVG erfolglos. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Die Gründe:
Der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides der Antragsgegnerin stand in formell-rechtlicher Hinsicht zwar nicht entgegen, dass sie den Antragsteller entgegen §§ 1 Abs. 1 Nds. VwVfG, 28 Abs. 1 VwVfG nicht zuvor angehört hatte. Die vorherige Anhörung des Antragstellers war insofern nicht entbehrlich. Dieser Verfahrensmangel war aber unbeachtlich, denn er wurde gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2 VwVfG dadurch geheilt, dass die erforderliche Anhörung des Antragstellers während des Beschwerdeverfahrens durch ein außergerichtliche Schreiben der Antragsgegnerin nachgeholt worden war.

Der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin war jedoch in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtswidrig. Die Voraussetzungen einer Beschlagnahme nach Polizeirecht waren nicht gegeben. Drohende Obdachlosigkeit stellt zwar eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. An die Zulässigkeit einer auf die Generalklausel des § 11 Nds. SOG gestützten Beschlagnahme privater Unterkünfte zur Unterbringung von Flüchtlingen, denen unmittelbar eine Obdachlosigkeit droht, sind wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Eigentumsrecht des Grundstückseigentümers allerdings hohe Anforderungen zu stellen. Die zuständige Ordnungsbehörde muss darlegen, dass ihr zur Abwendung der Obdachlosigkeit zum einen keine eigenen menschenwürdigen Unterkünfte zur Verfügung stehen und ihr zum anderen auch die Beschaffung geeigneter anderer Unterkünfte bei Dritten auf freiwilliger Basis nicht möglich ist.

Diese Voraussetzungen waren im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das Gebäude auf dem beschlagnahmten Grundstück musste erst noch kosten- und zeitintensiv hergerichtet werden. Ob und wann das Gebäude des Antragstellers für die Unterbringung von Flüchtlingen genutzt werden soll, war auch im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung noch offen. Zwar ist unter den gegebenen Umständen eine Gefahren-  und Risikovorsorge sinnvoll und notwendig. Maßnahmen zur Gefahrenvorsorge sind jedoch nicht von der Generalklausel des § 11 Nds. SOG gedeckt, sondern bedürfen einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung im allgemeinen oder besonderen Gefahrenabwehrrecht. Vorsorglich tritt der Senat der Auffassung des VG bei, dass eine Unterbringung etwa in Hotels, Ferienwohnungen oder Jugendherberge - angesichts des strengen Maßstabs für die zwangsweise Heranziehung privaten Eigentums - vorzuziehen ist.

Linkhinweis:

Für den in der Rechtsprechungsdatenbank Niedersachsen veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

OVG Lüneburg online
Zurück