12.05.2016

Zur Rechtzeitigkeit des Eingangs eines per Telefax übersandten Schriftsatzes

Die Versäumung einer Frist wegen Verzögerung bei der Übermittlung eines Telefax kann der Partei nicht als Verschulden zugerechnet werden, wenn sie bzw. ihr Prozessbevollmächtigter mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Eingabe der Sendenummer alles zur Fristwahrung Erforderliche getan. Voraussetzung ist zudem, dass so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen wurde, dass unter normalen Umständen mit deren Abschluss bis 24.00 Uhr gerechnet werden konnte.

BGH 12.4.2016, VI ZB 7/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch. Das LG wies die Klage ab. Die Klägerin legte hiergegen rechtzeitig Berufung ein. Die Frist zur Begründung der Berufung endete mit Ablauf des 21.11.2014. An diesem Tag unternahm die Prozessbevollmächtigte der Klägerin mehrere Versuche, die Berufungsbegründung per Telefax an das OLG zu übermitteln. Laut Bericht des Empfangsgeräts des OLG mit der Endnummer 60 empfing dieses von 23.41 Uhr an Telefaxsignale vom Anschluss der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Es wurden jedoch lediglich 5 Seiten der - 9 Seiten und eine Anlage umfassenden - Begründungsschrift empfangen. Danach brach der Empfangsvorgang mit einer Fehlermeldung des Empfangsgeräts ab. Ausweislich des Journals des Empfangsgeräts des OLG mit der Endnummer 50 empfing dieses Gerät von 23.52 Uhr an vom Telefaxanschluss der Bevollmächtigten der Klägerin übermittelte Faxsignale. Es wurden 9 der 10 Seiten empfangen; danach wurde der Empfangsvorgang wegen eines Fehlers abgebrochen. Der Übertragungsvorgang dauerte rd. 20 Minuten.

Bei den Akten befindet sich ein Telefaxausdruck der Berufungsbegründung, der im oberen Drittel der Seite 9 abbricht und eine Unterschrift der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht wiedergibt. Ausweislich der übermittelten Daten des Telefaxgerätes der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde der Übermittlungsvorgang um 23.50 Uhr begonnen und die - abgebrochene - Seite 9 des Schriftsatzes um 0.08 Uhr übertragen. Die Aufzeichnung der Übermittlung durch das Empfangsgerät des Gerichts gibt den Übermittlungsbeginn mit 23.54 Uhr und die Übermittlung der - abgebrochenen - Seite 9 mit 0.11 Uhr an. Eine weitere Ausfertigung der Berufungsbegründung ist vom Anschluss der Prozessbevollmächtigten der Klägerin an das Empfangsgerät des OLG mit der Endnummer 60 vollständig übermittelt worden. Laut Bericht dieses Geräts wurde mit dem Übermittlungsvorgang um 0.14 Uhr begonnen; der Übertragungsvorgang dauerte 18 Minuten und 10 Sekunden. Die übermittelten Daten des Telefaxgerätes der Prozessbevollmächtigten der Klägerin geben den Beginn des Übermittlungsvorgangs mit 0.12 Uhr, die Übertragung der 9. Seite, auf der sich die Unterschrift befindet, mit 0.27 Uhr und die Übertragung der 10. Seite (Anlage) mit 0.29 Uhr an.

Das OLG wies die Klägerin darauf hin, dass die Berufungsbegründung in vollständiger Fassung erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei. Die Klägerin macht demgegenüber geltend, dass die Berufungsbegründung dem OLG noch am 21.11.2014 vollständig per Telefax übermittelt worden sei. Hilfsweise beantragte sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Zur Begründung führte sie u.a. aus, ihr liege ein Sendebericht vor, aus dem sich ein Sendebeginn um 23.49 Uhr unter Abschluss der Sendung für Blatt 10 um 23.58 Uhr mit dem Vermerk "ok" ergebe. Vorausgegangen sei der Versuch einer Übermittlung um 23.39 Uhr, bei der alle Blätter des Schriftsatzes vom Faxgerät eingelesen worden seien und akustisch vernehmbar eine Übersendung vorgenommen worden sei; diese sei allerdings um 23.48 Uhr unterbrochen worden.

Das OLG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung der Beklagten als unzulässig. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin hob der BGH den Beschluss des OLG auf, gewährte der Klägerin Widereinsetzung in den vorigen Stand und verwies die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Die Beklagte hat zwar die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Auf ihren rechtzeitigen Antrag ist ihr jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.

Das OLG hat zu Recht angenommen, dass die Berufungsbegründung erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen ist. Die Klägerin hat nicht den Nachweis geführt, dass die von ihrem Faxgerät gesendeten Signale noch am 21.11.2014 vom Telefaxgerät des OLG vollständig empfangen worden sind. Entgegen ihrer Auffassung ergibt sich der rechtzeitige Empfang der gesendeten Signale insbesondere nicht aus dem von ihr vorgelegten und mit einem "OK"-Vermerk versehenen Sendebericht. Denn der "OK"-Vermerk ist ein bloßes Indiz für den tatsächlichen Zugang beim Empfänger. Er begründet nicht den Beweis des ersten Anscheins. Er belegt nur das Zustandekommen der Verbindung, nicht aber die erfolgreiche Übermittlung der Signale an das Empfangsgerät.

Die Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verletzt die Klägerin aber in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes. Die Auffassung des OLG, die Klägerin habe im Wiedereinsetzungsantrag nicht hinreichend dargetan, die Berufungsbegründungsfrist unverschuldet versäumt zu haben, überspannt unter den gegebenen Umständen die an die Sorgfalt eines Rechtsanwalts zu stellenden Anforderungen. Es entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, dass die Versäumung einer Frist wegen Verzögerung bei der Übermittlung eines Telefax der Partei dann nicht als Verschulden zugerechnet werden kann, wenn sie bzw. ihr Prozessbevollmächtigter mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegerätes und der korrekten Eingabe der Sendenummer alles zur Fristwahrung Erforderliche getan hat und so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen wurde, dass unter normalen Umständen mit deren Abschluss bis 24.00 Uhr gerechnet werden konnte. Diesen Anforderungen hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorliegend genügt.

Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat sowohl ein funktionsfähiges Sendegerät verwendet als auch die Empfängernummer korrekt eingegeben. Sie hatte auch so rechtzeitig mit der Übertragung begonnen, dass unter normalen Umständen mit deren Abschluss vor 24.00 Uhr zu rechnen war. Zwar muss eine Partei nach ständiger Rechtsprechung bei der Übermittlung ihrer Schriftsätze per Telefax Verzögerungen einkalkulieren, mit denen üblicherweise zu rechnen ist. Hierzu gehört insbesondere die Belegung des Telefaxempfangsgeräts bei Gericht durch andere eingehende Sendungen. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Berufungsbegründung als solche lediglich 9 Seiten umfasste und aus Sicht der Prozessbevollmächtigten der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass sich die Dauer der Übermittlung auf fast 2 Minuten pro Seite belaufen würde. Ausweislich des bei den Akten befindlichen Faxausdrucks der Berufungsschrift, der eine Ausfertigung des landgerichtlichen Urteils beigefügt war, hat die Übersendung dieser - 10 Seiten umfassenden - Dokumente am 22.9.2014 insgesamt lediglich 4 Minuten, d.h. 24 Sekunden pro Seite in Anspruch genommen.

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