20.09.2012

§ 62 Abs. 2 WEG gilt nicht bei Verwerfung der Berufung als unzulässig durch das Berufungsgericht

§ 62 Abs. 2 WEG gilt nicht, wenn das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat. Es ist davon auszugehen, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält, die durch entsprechende Anwendung von § 26 Nr. 8 S. 2 EGZPO (§ 26 Nr. 9 S. 2 EGZPO a.F.) zu schließen ist.

BGH 19.7.2012, V ZR 255/11
Der Sachverhalt:
Die Parteien sind die Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Das AG wies die gegen in der Eigentümerversammlung gefasste Beschlüsse gerichtete Klage der Kläger zu 1) und 2) im Wesentlichen ab. Am 17.6.2011 ging ihre Berufung fristgemäß beim LG Leipzig ein. Daraufhin wies der Vorsitzende telefonisch eine Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Kläger darauf hin, dass zuständiges Berufungsgericht das LG Dresden sei. Daraufhin legten die Kläger zu 1) und 2) nach Berufungsrücknahme dort - verspätet - die Berufung ein und beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Zur Begründung trugen sie vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe nach Unterzeichnung der Berufungsschrift am 17.6.2011 festgestellt, dass diese fehlerhaft an das LG Leipzig adressiert gewesen sei. Er habe seine Mitarbeiterin angewiesen, dies zu ändern und den schon unterzeichneten Schriftsatz zu vernichten. Nachdem er den korrekt adressierten Schriftsatz unterschrieben habe, habe er ihr die Anweisung erteilt, diesen unverzüglich per Fax zu übersenden.

Die Mitarbeiterin habe jedoch versehentlich den ursprünglichen Schriftsatz an das unzuständige LG Leipzig gefaxt. Anschließend habe sie dem Prozessbevollmächtigten Kopien des an das unzuständige Gericht adressierten Schriftsatzes zur Fertigung beglaubigter Abschriften vorgelegt. Bei deren Unterzeichnung habe er dies aufgrund der Faltung der Schriftsätze nicht bemerkt. Seine Frage, ob es sich um den richtigen Berufungsschriftsatz handle, habe seine Mitarbeiterin bejaht. Ebenso habe sie bestätigt, dass "das Fax raus" sei.

Das LG wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung durch Urteil als unzulässig. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger zu 1) und 2) hatte vor dem BGH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Der Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Verwerfung der Berufung steht § 62 Abs. 2 WEG, wonach für eine Übergangszeit die Nichtzulassungsbeschwerde in Wohnungseigentumssachen nach § 43 Nr. 1 bis 4 WEG ausgeschlossen ist, nicht entgegen. Die Regelung lehnt sich an § 26 Nr. 9 EGZPO a.F. einer mit Wirkung zum 1.9.2009 aufgehobenen Übergangsregelung zur ZPO-Reform an. Danach war für eine fünfjährige Übergangsfrist die Nichtzulassungsbeschwerde gegen Urteile in Familiensachen ausgeschlossen.

Der 2004 angefügte Satz 2 nimmt das die Berufung verwerfende Urteil vom Anwendungsbereich der die Nichtzulassungsbeschwerde beschränkenden Übergangsregelungen ausdrücklich aus. Hintergrund hierfür war die Vereinheitlichung der Rechtsmittelmöglichkeiten bei verwerfenden Entscheidungen des Berufungsgerichts, gegen die gem. § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO die Rechtsbeschwerde stattfindet, wenn sie nach § 522 Abs. 1 S. 2 und 3 ZPO als Beschluss ergangen sind. So sollte im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Relevanz des gleichmäßigen und willkürfreien Zugangs zur Rechtsmittelinstanz ein weiter Rechtsschutz gegen Verwerfungsentscheidungen des Berufungsgerichts unabhängig davon gewährleistet sein, ob sie als Urteil oder als Beschluss ergehen.

Das Fehlen einer vergleichbaren Vorschrift in § 62 Abs. 2 WEG lässt nicht den Schluss zu, dass nach dem Willen des Gesetzgebers in Wohnungseigentumssachen gegen ein die Berufung verwerfendes Berufungsurteil eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht statthaft ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Gesetz insoweit eine planwidrige Regelungslücke enthält, die durch entsprechende Anwendung von § 26 Nr. 8 S. 2 EGZPO, der der Regelung in § 26 Nr. 9 S. 2 EGZPO a.F. entspricht, zu schließen ist. Denn der diesen Vorschriften zugrunde liegende Gedanke der Gewährleistung einer einheitlichen Anfechtbarkeit der verwerfenden Entscheidungen des Berufungsgerichts gilt in gleicher Weise für Wohnungseigentumssachen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet. Dem Prozessbevollmächtigten der Kläger hätte bei ordnungsgemäßem Handeln im Rahmen der Beglaubigung der Abschriften der Fehler seiner Kanzleiangestellten auffallen müssen. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH trifft den Rechtsanwalt zwar im Falle einer Fristversäumung kein der Partei zurechenbares Verschulden, wenn er einer bislang zuverlässigen Kanzleiangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Hier wäre der Anwalt aber zu einer besonderen Kontrolle verpflichtet gewesen, weil ihm bekannt war, dass er kurz zuvor einen an das falsche Gericht adressierten Berufungsschriftsatz unterzeichnet hatte, er also wusste, dass ein fehlerhafter Schriftsatz in der Welt war.

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