19.09.2017

Ansprüche wegen Flugverspätung: Unterschiedliche Gegenstände sind bei Ermittlung des Werts des Beschwerdegegenstands zu addieren

Eine vom Kläger entsprechend Art. 5 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 7 FluggastrechteVO verlangte Ausgleichszahlung und der hilfsweise begehrte Ersatz für zusätzliche Kosten für die Weiterreise vom Ort der Landung zum eigentlichen Zielort, sowie für infolge der Verspätung entgangenen Verdienstes, sind wirtschaftlich nicht identische Gegenstände. Sie sind im Falle der vollständigen Klageabweisung für die Ermittlung des Werts des Beschwerdegegenstands zu addieren, ohne dass dadurch die Frage der eventuellen Anrechnung nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 FluggastrechteVO berührt wäre.

BGH 8.8.2017, X ZR 101/16
Der Sachverhalt:
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte dem Kläger eine Ausgleichszahlung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 (FluggastrechteVO) zu leisten hat, hilfsweise, ob sie ihm Schadensersatz schuldet.

Der Kläger hatte bei der Beklagten für den 24.9.2014 einen Flug von Seattle nach Amsterdam mit Weiterflug nach Düsseldorf gebucht. Der Flug von Seattle nach Amsterdam sollte von D durchgeführt werden, wurde aber annulliert. Der Kläger wurde am folgenden Tag von Seattle über Detroit nach Frankfurt a.M. befördert und machte danach in erster Linie eine Ausgleichszahlung von 600 € nebst vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend; hilfsweise verlangte er Erstattung der Kosten für die Bahnfahrt von Frankfurt a.M. nach Gelsenkirchen i.H.v. 90 € und infolge der verspäteten Rückkehr entgangenen Verdienstes von 150 €.

Das AG wies die Klage ab. Das LG verwarf die Berufung als unzulässig und ließ die Revision zu. Der BGH wies die Revision des Klägers im Umfang der mit dem Hauptantrag verlangten Ausgleichszahlung (600 €) mit der Maßgabe zurück, dass die Berufung gegen das Urteil des AG insoweit unbegründet ist. Im Übrigen hob er das Urteil des LG auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung dorthin zurück.

Die Gründe:
Entgegen der Auffassung des LG war die Berufung des Klägers zulässig, und zwar nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Bei der Berechnung des Beschwerdegegenstandswerts ist der Wert erfolglos gebliebener Haupt- und Hilfsanträge nach § 5 ZPO zu addieren, es sei denn, die Anträge wären wirtschaftlich identisch. Diese wirtschaftliche Identität der Gegenstände des Haupt- und des Hilfsantrags hat das LG zu Unrecht angenommen.

Die in erster Linie begehrte, an die Erwägungsgründe 2) und 12) der FluggastrechteVO anknüpfende Ausgleichszahlung nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 7 FluggastrechteVO dient wirtschaftlich in pauschalierter Form dem Ausgleich des von den Passagieren infolge großer Verspätung erlittenen irreversiblen Zeitverlusts und der dadurch entstandenen Unannehmlichkeiten. Mit den hilfsweise verlangten Positionen möchte der Kläger demgegenüber einen Ausgleich für zusätzliche Reisekosten, die ihm entstanden sein sollen, nachdem er nicht zu seinem eigentlichen Endziel befördert wurde, und für Einkommen, das ihm infolge der verspäteten Beförderung entgangen sein soll. Wirtschaftlich unterscheiden sich diese drei Gegenstände voneinander insofern, als die Ausgleichszahlung keinerlei konkrete Vermögenseinbußen beim Betroffenen voraussetzt, während der Ersatz für zusätzliche Reisekosten auf einer Vermögensminderung durch entsprechend getätigten Aufwand beruht und der Ersatz für Verdienstausfall demgegenüber nicht erzielten Vermögenszuwachs ausgleichen soll. Angesichts dieser Unterschiede wäre es wirtschaftlich nicht ausgeschlossen, dem Kläger alle drei Leistungen zuzusprechen.

Von der Frage der wirtschaftlichen Identität ist die Frage der Anrechnung nach Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO zu trennen. Danach gilt die FluggastrechteVO unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes; die nach dieser Verordnung gewährte Ausgleichsleistung kann aber auf einen solchen Schadensersatzanspruch anzurechnen sein. Der Umstand, dass vorliegend der Anspruch auf Leistung einer Ausgleichszahlung entsprechend Art. 5 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 7 FluggastrechteVO und der hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf wirtschaftlich nicht identische Gegenstände gerichtet sind, lässt die Frage der Anrechnung der Ausgleichszahlung auf den Schadensersatzanspruch unberührt. Sie ist im Streitfall schon deshalb nicht zu beantworten, weil der Kläger die Ansprüche nicht kumuliert geltend macht.

Das angefochtene Urteil erweist sich im Umfang der mit dem Hauptantrag verlangten Ausgleichszahlung von 600 € aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 563 Abs. 3 ZPO). Dem Kläger steht, wie das AG zutreffend angenommen hat, gegen die Beklagte ein Ausgleichsanspruch nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c i.V.m. Art. 7 FluggastrechteVO nicht zu. Die Revision war insoweit mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Berufung des Beklagten gegen das amtsgerichtliche Urteil im Umfang des Hauptantrags unbegründet ist. Ein Ausgleichsanspruch gem. Art. 7 FluggastrechteVO infolge der Annullierung eines Fluges ist nach Art. 3 Abs. 5 S. 1, Art. 5 Abs. 1 Buchst. c FluggastrechteVO nur gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen gerichtet. Die Beklagte war für die Ausführung des annullierten Flugs aber nicht vorgesehen gewesen.

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