06.08.2012

Ärzte können nach eigenen Behandlungsfehlern auch noch für Schädigungen durch Dritte haften

Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein "äußerlicher", gleichsam "zufälliger" Zusammenhang genügt nicht. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn nach einem Behandlungsfehler durch den erstbehandelnden Arzt Folgeschäden aus einer Behandlung durch einen nachbehandelnden Arzt zu beurteilen sind.

BGH 22.5.2012, VI ZR 157/11
Der Sachverhalt:
Bei der Klägerin waren im Dezember 2004 im Rahmen einer Koloskopie ein ca. 5 cm großer Darmtumor sowie ein kleiner gestielter Polyp festgestellt worden. Der Beklagte zu 2) nahm in dem von der Beklagten zu 1) betriebenen Klinikum daraufhin bei der Klägerin eine Rektumresektion vor. Er entfernte den Polypen, nicht hingegen den tiefer gelegenen Tumor. Nachdem im Rahmen einer Kontrollendoskopie im Oktober 2005 festgestellt worden war, dass der Tumor nicht entfernt worden war, unterzog sich die Klägerin umgehend einem erneuten Eingriff, bei dem der vom Tumor betroffene Darmabschnitt entfernt und ein künstlicher Darmausgang gelegt wurde.

In der Folge stellten sich eine Wundheilungsstörung im Bereich der Bauchdecke sowie eine Anastomoseinsuffizienz im Bereich der Darmnaht ein. Der weitere Heilungsverlauf war äußerst komplikationsbehaftet. Den nachbehandelnden Ärzten konnte kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden.

Mit der Klage machte die Klägerin die Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. mindestens 50.000 € sowie Ersatz materiellen Schadens i.H.v. 25.193 € geltend. Das LG sprach der Klägerin ein Schmerzensgeld i.H.v. 5.000 € zu und wies die Klage im Übrigen ab; das OLG verurteilte die Beklagten als Gesamtschuldner zu einem Schmerzensgeld i.H.v. 40.000 € sowie materiellen Schadensersatz i.H.v. 14.369 €. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten blieb vor dem BGH erfolglos.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht hatte zu Recht angenommen, dass die Klägerin von den Beklagten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung gem. § 280 Abs. 1, §§ 278, 823 Abs. 1, §§ 831, 253 Abs. 2 BGB Ersatz der ihr infolge der Nachoperation entstandenen materiellen und immateriellen Schäden verlangen kann.

Die Beurteilung des Berufungsgerichtes, die Folgeschäden seien adäquat kausal auf die Primärschädigung zurückzuführen, begegnete keinen Bedenken. Entgegen der Auffassung der Beklagten war der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang zwischen der vom Beklagten zu 2) verursachten Rechtsgutsverletzung und den von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsschäden nicht aufgrund des Schutzzwecks der haftungsbegründenden Norm zu verneinen. Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein "äußerlicher", gleichsam "zufälliger" Zusammenhang genügt nicht. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten.

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn nach einem Behandlungsfehler durch den erstbehandelnden Arzt Folgeschäden aus einer Behandlung durch einen nachbehandelnden Arzt zu beurteilen sind. In solchen Fällen kann es an dem erforderlichen inneren Zusammenhang fehlen, wenn das Schadensrisiko der Erstbehandlung im Zeitpunkt der Weiterbehandlung schon gänzlich abgeklungen war, sich der Behandlungsfehler des Erstbehandelnden auf den weiteren Krankheitsverlauf also nicht mehr ausgewirkt hat.

Die im vorliegenden Fall eingetretenen Schäden fielen nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm. Die die Beklagten treffende Verpflichtung zu einer den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechenden Versorgung der Klägerin diente u.a. dem Zweck, sie vor einem an sich nicht erforderlichen Zweiteingriff und den damit einhergehenden Folgen zu bewahren. Die von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsschäden standen auch in einem inneren Zusammenhang mit der durch die Beklagten geschaffenen Gefahrenlage. Denn der den Beklagten vorzuwerfende Behandlungsfehler hatte den weiteren Krankheitsverlauf entscheidend geprägt, zumal den nachbehandelnden Ärzten kein Behandlungsfehler vorzuwerfen war.

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