23.01.2020

Aufnahme eines durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbrochenen Einspruchsverfahrens

Einspruchsverfahren werden in entsprechender Anwendung des § 240 ZPO durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Einspruchsführers unterbrochen. Die Regelungen über die Aufnahme eines Aktivprozesses gemäß § 85 InsO sind bezüglich der Aufnahme des Einspruchsverfahrens durch das FA nicht analog anwendbar. Mangels gesetzlicher Regelung in der AO kann das FA ein Einspruchsverfahren, wenn die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Steuer bereits vor der Insolvenzeröffnung gezahlt wurde, erst nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens fortsetzen.

Kurzbesprechung
BFH v. 30.7.2019 - VIII R 21/16

ZPO § 239, § 240
InsO § 85


Die isolierte Anfechtung einer Einspruchsentscheidung ist zulässig, wenn diese eine selbständige Beschwer enthält, die ein berechtigtes Interesse des Betroffenen an der alleinigen Aufhebung der Rechtsbehelfsentscheidung begründet. Dies war im Streitfall der Fall, da die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift geltend gemacht wird. Denn die Entscheidung über einen Einspruch, obwohl das Einspruchsverfahren wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens analog § 240 ZPO unterbrochen wurde, stellt eine wesentliche Verfahrensverletzung dar. Der Insolvenzverwalter kann eine unter Verstoß gegen § 240 ZPO erlassene Entscheidung anfechten, ohne die Unterbrechung durch Aufnahme des Verfahrens beenden zu müssen.

Auch die von der Steuerpflichtigen erhobene Feststellungsklage, mit der sie die Feststellung begehrt, dass die Einspruchsverfahren für die Streitjahre entsprechend der Regelung des § 240 ZPO unterbrochen worden sind, war zulässig. Nach § 41 Abs. 1 FGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Zwar ist die Feststellungsklage nach § 41 Abs. 2 FGO gegenüber der Anfechtungsklage subsidiär, wenn der Kläger durch diese seine Rechte verfolgen kann. Der BFH ist jedoch der Auffassung, dass allein durch die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidungen das Feststellungsinteresse der Steuerpflichtigen nicht erfüllt wird, da das FA die Unterbrechung der Einspruchsverfahren durch das Insolvenzverfahren ausdrücklich bestreitet. Es besteht daher hinsichtlich des Erlasses von Einspruchsentscheidungen während der Unterbrechung des Verfahrens eine Wiederholungsgefahr, die ein Feststellungsinteresse begründet.

Im Streitfall hatte das FG hat zu Recht entschieden, dass die Einspruchsentscheidungen über die zulässigen Einsprüche des Insolvenzschuldners rechtswidrig waren, da sie während der Unterbrechung der Einspruchsverfahren analog § 240 ZPO ergangen waren. Denn die Einspruchsverfahren wurden durch die Insolvenzeröffnung in entsprechender Anwendung des § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen.

Die Unterbrechung des Einspruchsverfahrens durch die Insolvenzeröffnung dauert nach § 240 ZPO analog solange fort, bis das Verfahren nach den für das Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen oder das Insolvenzverfahren beendet wird. Diese Voraussetzungen waren zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidungen des FA nicht erfüllt.

Die unterbrochenen Einspruchsverfahren wurden --mangels gesetzlicher Regelung-- nicht vom FA durch Erlass der Einspruchsentscheidungen aufgenommen. Nach Auffassung des BFH sind die Regelungen des § 85 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 239 Abs. 2 bis Abs. 4 ZPO jedoch auf das Einspruchsverfahren nicht analog anwendbar. Denn die Regelungen sind offensichtlich auf den kontradiktorischen Zivilprozess zugeschnitten. Das Einspruchsverfahren unterscheidet sich jedoch grundlegend von einem Gerichtsverfahren. Das FA entscheidet im Einspruchsverfahren in eigener Sache und ist selbst Herr des Verfahrens. Eine unabhängige Entscheidungsinstanz, an die der Antrag auf Aufnahme des Verfahrens gemäß § 239 Abs. 2 ZPO zu richten wäre und die die Aufnahmevoraussetzungen prüft und überwacht, ist nicht vorhanden. Die Regelungen in § 239 Abs. 2 bis Abs. 4 ZPO können daher nicht auf das Einspruchsverfahren angewandt werden, ohne sie in ihrem Kern zu ändern. Zur Schaffung solcher im Gesetz nicht angelegter Regelungen ist nur der Gesetzgeber befugt.

Die Einspruchsverfahren wurden auch nicht durch die Steuerpflichtige als Insolvenzverwalterin in analoger Anwendung des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO aufgenommen. Die Regelung des § 85 Abs. 1 Satz 1 InsO, nach der der Insolvenzverwalter jederzeit Aktivprozesse aufnehmen kann, ist nach Auffassung des BFH auf das Einspruchsverfahren anwendbar. Zum einen hängt die Aufnahme eines Aktivprozesses durch den Insolvenzverwalter nicht von weiteren Voraussetzungen ab, die gerichtlich zu prüfen sind. Zum anderen hat der Insolvenzverwalter --im Unterschied zum FA-- ein berechtigtes Interesse daran, dass das durch die Insolvenzeröffnung unterbrochene außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt wird, wenn hierdurch eine Erstattung der gezahlten Steuern in die Insolvenzmasse erreicht werden kann.

Im Streitfall konnte das Begehren der Steuerpflichtigen jedoch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass sie die Einspruchsverfahren aufnehmen wollte. Vielmehr hatte sie ausdrücklich auf die Unterbrechungswirkung des Insolvenzverfahrens hingewiesen und geltend gemacht, die Einsprüche aufrechterhalten zu wollen.

Da die Einspruchsentscheidungen somit während der Unterbrechung der Einspruchsverfahren erlassen worden waren, sind sie unwirksam, soweit die Einsprüche zulässig waren. Das FG hatte die Einspruchsentscheidungen insoweit zu Recht aufgehoben und festgestellt, dass die Einspruchsverfahren unterbrochen waren.

Im Streitfall war jedoch der Einspruch des Insolvenzverwalters gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2007 unzulässig, da er bereits am 02.02.2009 Einspruch eingelegt hatte und somit der am 26.03.2011 (wiederholt) gegen den Änderungsbescheid erhobene Einspruch unzulässig war. Dies folgt aus der Regelung des § 365 Abs. 3 AO, nach der bei der Änderung des angefochtenen Steuerbescheids der geänderte Verwaltungsakt Gegenstand des Einspruchsverfahrens wird. Einer erneuten Einspruchseinlegung fehlt danach das Rechtsschutzbedürfnis. Ein unzulässiger Rechtsbehelf, der bereits vor der Unterbrechung des Verfahrens eingelegt wurde, kann in entsprechender Anwendung des § 249 Abs. 3 ZPO auch während der Unterbrechung des Verfahrens als unzulässig verworfen werden.
 
Verlag Dr. Otto Schmidt
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