Aufopferungsanspruch ist kein Schadensersatzanspruch
OLG Frankfurt a.M. 26.1.2017, 1 U 31/15Der Kläger war im Oktober 2010 während eines Polizeieinsatzes in einer Tankstelle von den Beamten zu Boden gebracht und gefesselt worden. Nachdem die Polizeibeamten festgestellt hatten, dass der Kläger nicht die gesuchte Person war, lösten sie die Handfesseln und verließen die Tankstelle. Der Kläger suchte daraufhin ein Krankenhaus auf. Dort wurde eine Schulterluxation rechts festgestellt.
Der Kläger nahm das beklagte Land auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Anspruch und machte einen materiellen Schaden i.H.v. 1.202 € geltend. Das LG hat dem Kläger nach Durchführung einer Beweisaufnahme den materiellen Schaden in vollem Umfang als allgemeinen Aufopferungsanspruch zuerkannt. Den Schmerzensgeldanspruch hat es als unbegründet erachtet. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb vor dem OLG erfolglos. Allerdings wurde zur Fortbildung des Rechts die Revision zugelassen.
Die Gründe:
Zu Recht hat das LG angenommen, dass nach der bisherigen BGH-Rechtsprechung laut dem Rechtsinstitut des Aufopferungsanspruchs nur für vermögensrechtliche Nachteile Entschädigung zu gewähren ist (Urt. v. 31.1.1966, Az.: III ZR 118/64; Urt. v. 8.7.1971, Az.: III ZR 67/68). In der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung ist bislang - soweit ersichtlich - nur der Senat in einem Urteil vom 20.8.2013 (Az.: 1 U 69/13) davon ausgegangen, dass der allgemeine Aufopferungsanspruch auch ein Schmerzensgeld umfasst. Der Senat in seiner jetzigen Besetzung hält an dieser Rechtsauffassung jedoch nicht fest.
Zutreffend hat das LG auf das BGH-Urteil vom 23.7.2010 (Az.: V ZR 142/09) verwiesen, in dem entschieden wurde, dass der Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB kein Schmerzensgeld gewährt. Dies lässt sich ohne weiteres auf den allgemeinen Aufopferungsanspruch übertragen. Auch dieser ist kein Schadensersatzanspruch, sondern ein Entschädigungsanspruch oder "einheitlicher Ausgleichsanspruch", der auf Leistung eines billigen, angemessenen Ausgleichs für die erlittene Einbuße gerichtet ist, und bei dem - anders als bei Schadensersatzansprüchen - die Gesichtspunkte, welche für die Höhe des Ausgleichs von Bedeutung sind, nicht Einzelposten mit rechtlicher Selbständigkeit, sondern unselbständige Elemente und bloße Berechnungsgrundlagen des Aufopferungsanspruchs sind.
Infolgedessen kann unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des BGH nicht angenommen werden, dass mit der am 1.8.2002 in Kraft getretenen Neuregelung in § 253 Abs. 2 BGB die bisherige BGH-Rechtsprechung zur Beschränkung des Aufopferungsanspruchs auf einen Ausgleich nur materieller Einbußen überholt ist. Der BGH hat in seinem Urteil vom 23.7.2010 ausdrücklich klargestellt, dass nach dem Wortlaut des § 253 Abs. 2 BGB Voraussetzung für die Verpflichtung des Schädigers zur Zahlung eines Schmerzensgeldes das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs ist, und dass die Norm restriktiv auszulegen ist, d.h., dass in den Fällen, in denen es hieran fehlt, die Vorschrift in § 253 Abs. 2 BGB auch nicht entsprechend anwendbar ist. Dass ein Ausgleichsanspruch je nach Art und Weise der Einwirkung "auf vollen Schadensersatz gehen" kann, macht den Anspruch nicht zum Schadensersatzanspruch. Dass nach der deutschen Rechtsordnung zwischen "echtem" Schadensersatz und einer bloß angemessenen oder billigen Entschädigung ein Unterschied besteht, hat der BGH wiederholt hervorgehoben.
Ob mit der am 1.8.2002 in Kraft getretenen Neuregelung in § 253 Abs. 2 BGB die bisherige BGH-Rechtsprechung zur Beschränkung des allgemeinen Aufopferungsanspruchs auf einen Ausgleich nur materieller Einbußen überholt ist, ist durch den BGH bislang noch nicht entschieden. Infolgedessen wurde die Revision zugelassen.
Hintergrund:
Das Rechtsinstitut der Aufopferung geht auf die Bestimmungen der Einleitung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794 zurück. Nach BGH-Rechtsprechung ist der in § 75 EinlALR normierte Grundsatz der Entschädigungspflicht des Staates in dieser Gesetzesbestimmung selbst zwar gegenständlich nicht beschränkt, sondern umfasst jedes Sonderopfer, das der einzelne an irgendwelchen Rechtsgütern zum Wohle der Allgemeinheit zu erbringen genötigt wird; Eingriffe in sonstige Rechtsgüter, insbesondere Eingriffe in die körperliche Integrität des einzelnen werden nicht ausgeschlossen. Allerdings sollen die Bestimmungen der §§ 74, 75 EinlALR von dem Grundsatz ausgehen, dass nur für vermögensrechtliche Nachteile Entschädigung zu gewähren sei.
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