09.02.2015

Auslegung des Klageantrags bei einer Beschlussanfechtungsklage hat wirklichen Willen der Partei zu erforschen

Auch bei einer Beschlussanfechtungsklage darf die Auslegung des Klageantrags - wie allgemein im Prozessrecht - nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung unter Einbeziehung der gesamten Klageschrift nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten.

BGH 12.12.2014, V ZR 53/14
Der Sachverhalt:
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Deren Gemeinschaftsordnung sieht vor, dass eine Änderung "um wirksam zu werden, der Zustimmung von 4/5 aller vorhandenen Stimmen der Wohnungseigentümer" bedarf. Die mit der Einladung zu der Eigentümerversammlung vom 22.5.2012 übersandte Tagesordnung führte unter TOP 4 "Beschluss über die Genehmigung der Einzel- und Gesamtabrechnung 2011 incl. Heizkostenabrechnung" auf und unter TOP 6 "Beschluss über den Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012".

In der Eigentümerversammlung wurde zu TOP 4 unter Antrag 1 die Genehmigung der Gesamt- und Einzelabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2011 mehrheitlich beschlossen. Unter der Bezeichnung TOP 4 Antrag 2 wurde noch ein weiterer Beschluss gefasst, mit dem der in der Teilungserklärung vorgesehene Kostenverteilungsschlüssel ab dem Geschäftsjahr 2012 geändert wurde. Die zu TOP 6 gefassten Beschlüsse betreffen den Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012. Gegen die "zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 und Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012" hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben.

AG und LG gaben der Klage teilweise statt, erklärten die zu TOP 6 gefassten Beschlüsse für ungültig und wiesen die Klage im Übrigen ab. Das LG ließ die Revision "bzgl. der Frage zu, ob das Nichterreichen eines Quorums im Rahmen einer vereinbarten Öffnungsklausel zur Nichtigkeit eines Mehrheitsbeschlusses oder lediglich zu dessen Anfechtbarkeit führt". Auf die Revision des Klägers hob der BGH das Urteil des LG auf und änderte den Beschluss des AG dahingehend ab. Dass auch der zu TOP 4 Antrag 2 gefasste Beschluss für ungültig erklärt wird.

Die Gründe:
Der Kläger wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des LG, er habe hinsichtlich TOP 4 Antrag 2 die Anfechtungsfrist versäumt.

Zwar ist die Einhaltung der Klage- und der Begründungsfrist nach § 46 Abs. 1 S. 2 WEG keine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschlussanfechtungsklage; ihre Versäumung führt vielmehr zu einem materiell-rechtlichen Ausschluss von Anfechtungsgründen. Das ändert aber nichts daran, dass die Klage und ihre Begründung Prozesshandlungen darstellen, deren Auslegung das Revisionsgericht nach ständiger BGH-Rechtsprechung uneingeschränkt nachprüfen kann. Im Ausgangspunkt zutreffend nimmt das LG an, dass der Kläger zwecks Wahrung der Klagefrist mitteilen muss, gegen welchen Beschluss aus welcher Eigentümerversammlung er sich wenden will, und dass die Auslegung eine Beschränkung auf einzelne Beschlüsse oder abtrennbare Punkte ergeben kann.

Aber auch bei einer Beschlussanfechtungsklage darf die Auslegung - wie allgemein im Prozessrecht - nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht. Nur wenn sich das Rechtsschutzziel des Klägers auch durch die gebotene Auslegung nicht eindeutig ermitteln lässt, gehen die verbleibenden Unklarheiten zu seinen Lasten. Bei umfassender Würdigung des Klageantrags unter Einbeziehung des weiteren Inhalts der Klageschrift erweist sich die Auslegung des LG vorliegend als rechtsfehlerhaft.

Der Kläger hat nämlich mitgeteilt, an der Versammlung persönlich nicht teilgenommen und eine Niederschrift noch nicht erhalten zu haben. Da er keine näheren Kenntnisse von den gefassten Beschlüssen hatte und sie folglich nicht genau bezeichnen konnte, ist sein Antrag im Zweifel so zu verstehen, dass er die zu TOP 4 gefassten Beschlüsse (jedenfalls zunächst) umfassend anfechten wollte. Dagegen lässt sich der Klageschrift nicht eindeutig entnehmen, dass seine Anfechtung der "zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 und Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012" nur TOP 4 Antrag 1 betreffen sollte. Eine solche Beschränkung ergibt sich insbesondere nicht aus dem Zusatz "betreffend Gesamt- und Einzelabrechnung 2011", der zwar der Konkretisierung dienen soll, aber lediglich den Wortlaut der vor der Versammlung mitgeteilten und der Klageschrift als Anlage beigefügten Tagesordnung wiedergibt.

Dies gilt umso mehr, als der Kläger sein Rechtsschutzziel durch die Mitteilung verdeutlicht hat, ihm sei berichtet worden, dass "insbesondere bei der Aufteilung der Wohngelder zu seinem Nachteil von den Vorgaben der Teilungs-erklärung abgewichen worden" sei. Diese Begründung konnte zwar auch den zu TOP 4 Antrag 1 gefassten Beschluss betreffen, sofern die Gesamt- und Einzelabrechnung 2011 mit den Vorgaben der Teilungserklärung nicht im Einklang stand; vornehmlich und offenkundig bezog sie sich jedoch auf die dauerhafte Änderung des in der Teilungserklärung vorgesehenen Kostenverteilungsschlüssels, die Gegenstand des Beschlusses zu TOP 4 Antrag 2 war und über die der Kläger erklärtermaßen nur vom Hörensagen berichten konnte.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf den Webseiten des BGH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BGH online
Zurück