04.04.2019

Befreiung von der Versicherungspflicht für eine Tätigkeit als Syndikus-Steuerberater

§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gibt versicherungspflichtig Beschäftigten, die gleichzeitig verkammerte Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nur für die "Beschäftigung, wegen der" sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind.

LSG Berlin-Brandenburg v. 27.7.2018 - L 22 R 171/17
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist als Steuerberater tätig. Im Januar 2013 hatte der Kläger eine Beschäftigung als Steuerberater bei einer GmbH & Co. KG in Brandenburg, wo er seine berufliche Niederlassung unterhielt, aufgenommen. Zum 1.2.2013 war er aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Mitglied der Steuerberaterkammer Brandenburg und zugleich Mitglied im Versorgungswerk für Steuerberater und Steuerbevollmächtigte im Land Brandenburg.

Auf seinen Antrag hatte ihn die Beklagte im Mai 2013 als Steuerberater bei der GmbH & Co. KG ab Februar 2013 von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung befreit. Zum 30.4.2013 war er bei gleichzeitiger Beendigung seiner Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten im Land Brandenburg aus der Steuerberaterkammer Brandenburg ausgeschieden. Zum 1.5.2013 wurde der Kläger Mitglied der Steuerberaterkammer Westfalen- Lippe und zugleich kraft Gesetzes Mitglied im Versorgungswerk der Steuerberater im Land Nordrhein-Westfalen. Zum 1.7.2013 nahm der Kläger eine Beschäftigung als Syndikus-Steuerberater bei der Beigeladenen in Berlin auf.

Den im August 2013 gestellten Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wegen seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen lehnte die Beklagte ab: Eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht sei für seine Beschäftigung als Steuerberater nur dann möglich, wenn die Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung und in der Berufskammer aufgrund dieser Beschäftigung bestehe. Hierbei müsse die Beschäftigung in einem Bundesland ausgeübt werden, in dem auch ein Versorgungwerk für die jeweilige Berufsgruppe errichtet sei. In Berlin bestehe kein Versorgungswerk für Steuerberater.

Zum 1.2.2014 wurde der Kläger aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Mitglied der Steuerberaterkammer Brandenburg und zugleich kraft Gesetzes Mitglied im Versorgungswerk der Steuerberater und Steuerbevollmächtigten im Land Brandenburg. Gleichzeitig nahm er eine Beschäftigung als Syndikus-Steuerberater bei einer AG in Brandenburg auf. Auf seinen Antrag befreite ihn die Beklagte im April 2014 für die Tätigkeit als Steuerberater bei der AG ab 1.2.2014 von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung.

Der Kläger begehrte von der Beklagten Befreiung von der Versicherungspflicht für die Zeit vom 1.7.2013 bis 31.1.2014. Er machte geltend, bedingt durch die Versagung der Befreiung von der Deutschen Rentenversicherung sei er einer finanziellen Doppelbelastung ausgesetzt, weil Beiträge sowohl an die Beklagte als auch an das Versorgungswerk der Steuerberater im Land Nordrhein-Westfalen zu entrichten seien.

Das SG hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LSG das Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben.

Die Gründe:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger für seine Tätigkeit als Syndikus-Steuerberater bei der Beigeladenen in der Zeit vom 1.7.2013 bis 31.1.2014 von der Rentenversicherungspflicht zu befreien.

Die gesetzliche Verpflichtung für eine Berufsgruppe zur Mitgliedschaft in einer berufsständischen Kammer i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gilt mit dem Tag als entstanden, an dem das die jeweilige Kammerzugehörigkeit begründende Gesetz verkündet wurde. Wird der Kreis der Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer nach dem 31.12.1994 erweitert, werden diejenigen Pflichtmitglieder des berufsständischen Versorgungswerks nicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI befreit, die nur wegen dieser Erweiterung Pflichtmitglieder ihrer Berufskammer geworden sind (§ 6 Abs. 1 Sätze 2 und 3 SGB VI).

Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Kläger war kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer, wobei am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für seine Berufsgruppe bereits vor dem 1.1.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a SGB VI, mit dem u. a. bestimmt wird, dass die genannten Personen "zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 1.1.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat", beruht auf einer zum 1.1.1996 in Kraft getretenen Änderung.

In der Gesetzesbegründung ist dazu ausgeführt (Bundestag-Drucksache 13/2590, S. 18): In der Bundesrepublik Deutschland besteht ein gegliedertes System der sozialen Sicherheit, das sich grundsätzlich bewährt hat. Im Bereich der Alterssicherung erfolgt die Altersversorgung für die Angehörigen der freien Berufe - z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Apotheker - traditionell nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern in berufsständischen Versorgungseinrichtungen, die auf ländergesetzlicher Grundlage beruhen. Die in einem rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis angestellten Angehörigen dieser Berufsgruppen haben ein Befreiungsrecht von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Hiermit wird verhindert, dass diese Personengruppe, die in der jeweiligen Versorgungseinrichtung - ohne die Möglichkeit der Befreiung - pflichtversichert ist, mit einer doppelten Beitragszahlungspflicht belastet wird. Gleichzeitig wird erreicht, dass diejenigen, die im späteren Verlauf ihres Berufslebens in die Selbständigkeit überwechseln, eine geschlossene Versicherungsbiographie in ihrer berufsständischen Versorgungseinrichtung aufbauen können. Steuerberater erfüllten die Voraussetzungen auch der geänderten Fassung des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a SGB VI. Dies folgt aus dem Steuerberatungsgesetz (StBerG). Der Kläger war auch wegen der von ihm bei der Beigeladenen ausgeübten Beschäftigung als Syndikus-Steuerberater wegen der aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. Er gehörte wegen dieser Beschäftigung dem Versorgungswerk der Steuerberater im Land Nordrhein-Westfalen an und musste aufgrund der für dieses Versorgungswerk geltenden Vorschriften wegen dieser Beschäftigung Beiträge zu diesem Versorgungswerk zahlen.

Beruhte die Mitgliedschaft des Klägers beim Versorgungswerk der Steuerberater im Land NRW auf seiner selbständigen Tätigkeit als Steuerberater in NRW, so war der Kläger zugleich wegen der Beschäftigung bei der Beigeladenen aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder aufgrund Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied dieses Versorgungswerkes und somit einer berufsständischen Versorgungseinrichtung. Die Mitgliedschaft in der berufsständischen Versorgungseinrichtung der Steuerberater knüpft an eine Mitgliedschaft in einer Steuerberaterkammer und diese wiederum an eine selbständige Tätigkeit als Steuerberater, aber auch an eine ausschließlich als angestellten Steuerberater ausgeübten Beschäftigung und damit erst recht an eine neben einer selbständigen Tätigkeit als Steuerberater zugleich bestehende Beschäftigung an.

§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI gibt versicherungspflichtig Beschäftigten, die gleichzeitig verkammerte Mitglieder einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind, einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nur für die "Beschäftigung, wegen der" sie auf Grund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind (BSG, Urt. v. 3.4.2014, Az.: B 5 RE 13/14 R). Dies folgt auch aus § 6 Abs. 5 SGB VI. Diese Regelung ist in dem Sinn zu verstehen, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI nicht personen-, sondern tätigkeitsbezogen ist. Sie gilt nur für diejenige Tätigkeit, für die sie erteilt ist.

 

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