23.02.2012

Behandlungsalternative bei Frühgeburtlichkeit muss den Eintritt des Schadens verhindern

Besteht die Pflichtverletzung eines Arztes in einer Unterlassung (hier: Behandlungsalternative bei einer Frühgeburtlichkeit), ist diese für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt regelmäßig der Geschädigte.

BGH 7.2.2012, VI ZR 63/11
Der Sachverhalt:
Die Mutter des Klägers wurde Mai 1993 in der 25. Schwangerschaftswoche mit der Therapieempfehlung "Tokolyse und Cerclage" in die Frauenklinik der Beklagten verlegt. Dort wurden zur Hemmung der Wehentätigkeit eine intravenöse Tokolyse und eine Celestan-Prophylaxe durchgeführt. Wegen einer Infektion wurde von einer Cerclage  abgesehen und strikte Bettruhe verordnet. Mit Hilfe der Cerclage wird einer Schwangeren, deren Muttermund sich viel zu früh öffnet, unter Vollnarkose ein Kunststoffbändchen um den Gebärmutterhals geschlungen.

Fünf Tage später war die Infektion abgeklungen. Die bisherige Behandlung wurde trotzdem fortgesetzt. Nach einer weiteren Woche musste die Schwangerschaft durch sectio beendet werden. Der Kläger wurde in schlaffem, zyanotischem Zustand ohne Eigenatmungsbestrebungen geboren. Das Geburtsgewicht betrug 960 g. Kurz darauf trat bei ihm eine Hirnblutung 4. Grades auf.

Der Kläger stützte, nachdem er anfänglich den Beklagten Behandlungsfehler angelastet hatte, sein Schadensersatzbegehren auf eine wegen unterbliebener Aufklärung seiner Mutter über die Möglichkeit der Cerclage rechtswidrige Fortführung der konservativen Behandlung. Das LG wies die Klage ab; das OLG sprach dem Kläger den Schmerzensgeldanspruch dem Grunde nach zu. Auf die Revision der Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.

Die Gründe:
Das Berufungsgericht hatte den Ursachenzusammenhang zwischen der infolge der unterlassenen Aufklärung rechtswidrigen, aber aus ärztlicher Sicht vertretbaren Fortsetzung der konservativen Behandlung der Mutter des Klägers und den geltend gemachten Schäden aufgrund einer unzutreffenden Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast bejaht.

Der Patient hat nicht nur in den Fällen, in denen die rechtswidrige Behandlung in einem Eingriff, etwa in einer Operation, liegt, sondern auch in den Fällen der rechtswidrigen Fortsetzung konservativer Behandlungsmethoden trotz Bestehens gleichwertiger Behandlungsalternativen zu beweisen, dass die bei ihm vorgenommene Behandlung ursächlich für den geltend gemachten Schaden wurde. Dies gilt auch dann, wenn - wie im Streitfall - Schadensersatzansprüche nicht aus der konservativen Behandlung hergeleitet werden, sondern daraus, dass weitergehende Behandlungsmaßnahmen unterblieben sind. Eine Unterlassung ist für den Schaden nur dann kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte. Die bloße Möglichkeit, ebenso eine gewisse Wahrscheinlichkeit genügt nach § 286 ZPO nicht.

Die Beklagte hatte den Vorwürfen des Klägers entgegengesetzt, dass eine Cerclage die Schwangerschaft nicht verlängert hätte. Sie hat damit den Kausalzusammenhang bestritten. Infolgedessen konnte dieser Vortrag nicht als Einwand eines hypothetischen Kausalverlaufs bei rechtmäßigem Alternativverhalten verstanden werden, was das Berufungsgericht irrigerweise angenommen hatte.

Das Urteil beruhte mithin auf einer unzutreffenden Zuweisung der Darlegungs- und Beweislast. Richtigerweise oblag es nämlich dem Kläger, darzulegen und zu beweisen, dass - nachdem das Berufungsgericht die hypothetische Einwilligung der Mutter in die Cerclage angenommen hatte - nach der Cerclage die Geburt in einer für seine Entwicklung maßgeblichen Weise verzögert worden wäre. Für eine Verlagerung der Beweislast für den Ursachenzusammenhang auf die Beklagten war insoweit kein Raum.

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