04.03.2016

Bei blinden Dialyse-Patienten kann eine Fixierung des Arms geboten sein

Bei der Dialyse von Patienten mit Einschränkungen können besondere Maßnahmen wie z.B. die Fixierung des mit der Dialysenadel versehenen Arms geboten sein, um eine lebensgefährdende Dislokation (Lageveränderung) der Dialysenadel während der Behandlung von vornherein zu verhindern. In diesem Fall ist der Patient auch darüber aufzuklären, dass es im seltenen Fall einer Dislokation der Dialysenadel zu einem tödlichen Blutverlust kommen kann und dieses Risiko durch eine Fixierung des Arms nahezu ausgeschlossen wird.

OLG Hamm 16.2.2016, 26 U 18/15
Der Sachverhalt:
Die beklagten Ärzte betreiben im Sauerland eine nephrologische Praxis. Dort hatte ein 67 Jahre alter Patient dreimal wöchentlich eine Dialysebehandlung durchführen lassen. Er war aufgrund einer Diabeteserkrankung erblindet. Bei einer im Juni 2014 durchgeführten Dialysebehandlung löste sich eine der im linken Oberarm befestigten Dialysenadeln. Es kam zu einer Blutung des Patienten. Zwar wurde der Patient in der Praxis reanimiert und in ein Krankenhaus verbracht, er verstarb jedoch am Folgetag.

Die klagende Ehefrau und die gemeinsamen drei Kinder des verstorbenen Patienten waren der Ansicht, ihr Ehemann bzw. Vater sei von den Beklagten nicht ordnungsgemäß überwacht und zu spät notfallmäßig behandelt worden. Die Klägerin forderte Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld i.H.v. 5.000 €. Das LG wies die Klage nach Einholung eines internistisch/nephrologischen Sachverständigengutachtens ab. Auf die Berufung der Klägerin hob das OLG die erstinstanzliche Entscheidung auf und gab der Klage überwiegend statt. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Der Klägerin steht für die Erbengemeinschaft gegen die Beklagten ein Anspruch auf 5.000 € Schmerzensgeld und ca. 2.700 € Beerdigungskosten zu.

Die Dialysebehandlung der Beklagten nach medizinisch-sachverständiger Beratung, fehlerhaft. Sie hatten es versäumt, die in der besonderen Situation des blinden Patienten gebotenen Maßnahmen zu treffen, mit denen eine Dislokation der Dialysenadel von vornherein zu verhindern gewesen wäre. Denn Bewegungen können auch eine ordnungsgemäß befestigte Dialysenadel abrutschen lassen. Eine derartige Dislokation der Nadel ist zwar grundsätzlich eine seltene Komplikation. Sie kann aber in kürzester Zeit zum Tod eines Patienten führen.

Patienten können in solchen Situationen in wenigen Minuten ausbluten. So hatte im vorliegenden Fall der bei dem Verstorbenen für die Dialyse eingestellte Blutfluss zu einem Blutverlust von einem Liter in drei Minuten geführt. Da der Patient blind war, hätte sein linker Arm während der Dialysebehandlung fixiert werden müssen. Damit hätte das Risiko einer Dislokation mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden können. Aufgrund der Erblindung hätte man sich beim Patienten nicht darauf verlassen können, dass er bei einem Blutverlust rechtzeitig Alarm auslöst.

Demgegenüber kann von einer Dialysepraxis eine dauerhafte Überwachung eingeschränkter Patienten aufgrund des damit verbundenen personellen und finanziellen Aufwandes nicht gefordert werden. Nach den Ausführungen des Sachverständigen genügt auch bei Patienten, die nicht selbst Alarm auslösen können, in der Regel eine stündliche Kontrolle. Nur bei kreislaufinstabilen Patienten sollte eine häufigere Kontrolle stattfinden.

Die Tatsache, dass eine Fixierung nicht gegen den Willen eines Patienten erfolgen kann, schließt die Schadensersatzpflicht der Beklagten im vorliegenden Fall nicht aus. Der Patient hätte vor Behandlungsbeginn darüber aufgeklärt werden müssen, dass es im seltenen Fall einer Dislokation der Dialysenadel zu einem tödlichen Blutverlust kommen kann und dieses Risiko durch eine Fixierung des Arms nahezu ausgeschlossen werden kann (Sicherheitsaufklärung). Eine solche Sicherheitsaufklärung ist bei eingeschränkten, insbesondere blinden Patienten zwingend erforderlich, da sie eine Dislokation voraussichtlich nicht bemerken und selbst keinen Alarm auslösen.

Linkhinweis:

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OLG Hamm, PM vom 2.3.2016
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