29.07.2021

Berechnung der Zehn-Jahres-Frist (§ 23 EStG) bei Erteilung einer sanierungsrechtlichen Genehmigung

Eine "Anschaffung" bzw. "Veräußerung" i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG liegt vor, wenn die übereinstimmenden rechtsgeschäftlichen Verpflichtungserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Zehn-Jahres-Frist bindend abgegeben worden sind.

Kurzbesprechung
BFH v. 25.3.2021 - IX R 10/20

EStG § 22 Nr. 2, § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1,
BauGB § 144 Abs. 2 Nr. 1, § 144 Abs 2. Nr. 3
BGB § 433, § 873, § 925, § 311b


Streitig war, ob der Steuerpflichtige im Streitjahr 2013 einen Gewinn aus der Veräußerung eines Immobilienobjekts als sonstige Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erzielt hat.

Nach § 22 Nr. 2 EStG zählen zu den sonstigen Einkünften (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG. Dazu gehören gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG u.a. Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Für die Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung sind grundsätzlich die Zeitpunkte maßgebend, in denen die obligatorischen Verträge abgeschlossen wurden. Mit Blick auf den Zweck des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, innerhalb der Veräußerungsfrist realisierte Werterhöhungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen der Einkommensteuer zu unterwerfen, kann von einer (rechtsgeschäftlichen) "Anschaffung" oder "Veräußerung" nur gesprochen werden, wenn die Vertragserklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist bindend abgegeben worden sind.

Eine "Veräußerung" in diesem Sinne liegt daher vor, wenn die rechtsgeschäftlichen Erklärungen beider Vertragspartner innerhalb der Veräußerungsfrist übereinstimmend abgegeben werden. Denn mit den beiderseitigen übereinstimmenden Willenserklärungen wird der Vertragsschluss für die Vertragspartner zivilrechtlich bindend. Damit sind, dem Normzweck des § 23 EStG entsprechend, die Voraussetzungen für die Realisierung der Wertsteigerung verbindlich eingetreten.

Nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 BauGB bedarf die rechtsgeschäftliche Veräußerung eines Grundstücks in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet der schriftlichen Genehmigung der Gemeinde. Gleiches gilt nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 1 BauGB für einen schuldrechtlichen Vertrag, durch den eine Verpflichtung zur Veräußerung eines Grundstücks begründet wird. Ist der schuldrechtliche Vertrag genehmigt worden, gilt nach § 144 Abs. 2 Nr. 3 Halbsatz 2 BauGB auch das in Ausführung dieses Vertrags vorgenommene dingliche Rechtsgeschäft als genehmigt. § 144 BauGB normiert damit einen umfassenden Genehmigungsvorbehalt für rechtsgeschäftliche Grundstücksübertragungsgeschäfte in Sanierungsgebieten. Das Fehlen einer nach § 144 BauGB erforderlichen Genehmigung macht daher sowohl das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft (§§ 433 ff., § 311b BGB) als auch das dingliche Verfügungsgeschäft (§§ 873, 925 BGB) schwebend unwirksam.

Die Vertragsparteien sind zwar mit Abschluss des rechtsgeschäftlichen Grundstücksveräußerungsgeschäfts an ihre Willenserklärungen gebunden, es bestehen aber noch keine Erfüllungsansprüche Mit der Erteilung der Genehmigung wird das Rechtsgeschäft (rückwirkend) wirksam, mit der rechtskräftigen Verweigerung der Genehmigung endgültig unwirksam.

Die Bindungswirkung eines innerhalb der Haltefrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG abgeschlossenen, wegen des Fehlens einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung (noch) schwebend unwirksamen Vertrags kann jedoch ausreichen, um die Rechtsfolgen eines privaten Veräußerungsgeschäfts eintreten zu lassen. Haben sich die Parteien bereits vor Erteilung der öffentlich-rechtlichen Genehmigung auf die Vertragsinhalte geeinigt und sich mithin dergestalt gebunden, dass sich keine Partei mehr einseitig vom Vertrag lösen kann, sind die Voraussetzungen für die Annahme eines Anschaffungs- oder Veräußerungsgeschäfts innerhalb der Zehn-Jahres-Frist erfüllt. Denn die in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verwendeten Begriffe "Anschaffung" und "Veräußerung" verdeutlichen, dass die Wirksamkeit des Vertrags nicht zwingend schon bei dessen Abschluss gegeben sein muss.

Bezieht sich die Genehmigung Dritter nicht auf die inhaltliche Ausgestaltung des Vertrags oder die Wirksamkeit der Willenserklärungen, verfolgt sie vielmehr Zwecke, die außerhalb des Vertrags liegen, und auf die die Vertragsbeteiligten keinen Einfluss haben, hat sie auf die zivilrechtlich entstandene --und von den Vertragsbeteiligten auch gewollte-- Bindungswirkung keinen Einfluss.

So verhält es sich bei der Genehmigung nach § 144 BauGB. Diese Regelung bezweckt mit dem behördlichen Genehmigungsvorbehalt, Rechtsgeschäfte, die sich erschwerend auf den Ablauf der Sanierung auswirken können, zu verhindern Erforderlich ist danach eine beiderseitige Bindung der Vertragsbeteiligten. Eine bloß einseitige Bindung durch ein einseitiges Angebot einen Kauf auf Probe (§ 454 BGB) oder die Möglichkeit einer Partei, sich durch Versagung der Genehmigung nach Abschluss des Vertrags durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht (§ 177 Abs. 1 BGB) jederzeit wieder vom Vertrag lösen zu können, reicht insoweit nicht aus.

Anders ist dies hingegen, wenn --wie im Streitfall-- das Erstarken eines schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts zur vollen Wirksamkeit nicht mehr vom Verhalten der Vertragsparteien abhängig ist. Denn im Fall des Vertragsschlusses bei noch ausstehender sanierungsrechtlicher Genehmigung können sich die Vertragsparteien nicht einseitig von ihren Willenserklärungen lösen; sie unterliegen während der schwebenden Unwirksamkeit dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme und sind verpflichtet, alles zu unternehmen, um die Genehmigung und damit die volle Wirksamkeit des Vertrags herbeizuführen. Daher entfaltet auch ein wegen des Fehlens einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung schwebend unwirksames Rechtsgeschäft beiderseitige Bindungswirkung, obschon die Beteiligten zu diesem Zeitpunkt die Rechtsmacht besitzen, diese Bindungswirkung bis zur Erteilung der Genehmigung gemeinsam durch einvernehmlichen Aufhebungsvertrag zu beseitigen.

Die Steuerpflichtigen hatten das zur Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung genutzte Immobilienobjekt mit Abgabe der notariell beurkundeten Annahmeerklärung durch den Veräußerer und mithin am 07.01.2003 i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG entgeltlich "angeschafft" und am 27.12.2012 entgeltlich an einen Dritten "veräußert".

Am 27.12.2012 lag, und damit innerhalb der zehnjährigen Veräußerungsfrist, ein beiderseits bindender obligatorischer Vertragsschluss vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Vertragspartner die vertragliche Bindung bis zur Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung hinausschieben wollten, sind nicht ersichtlich; denn ein schuldrechtlicher Genehmigungsvorbehalt war weder ausdrücklich noch stillschweigend vereinbart worden. Vielmehr war das Vorliegen der sanierungsrechtlichen Genehmigung nach § 4 des Vertrags allein maßgeblich für die Fälligkeit des Kaufpreises und hatte keine konstitutive Bedeutung für den Vertragsschluss. Da mit den übereinstimmenden Willenserklärungen innerhalb der Haltefrist für die Beteiligten eine beiderseitige Bindung eingetreten war, der Inhalt des Vertrags feststand, die zur Eigentumsübertragung erforderlichen Erklärungen abgegeben waren und es den Vertragsparteien nicht mehr möglich war, sich bis zur Erteilung der Genehmigung nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 BauGB einseitig von dem Vertrag zu lösen, sind die den Normzweck des § 23 EStG prägenden Voraussetzungen für eine Realisierung der in dem maßgeblichen Immobilienobjekt liegenden Wertsteigerung verbindlich eingetreten. Die bindende Veräußerung der Immobilie war danach am 27.12.2012 und damit innerhalb der maßgeblichen Zehnjahresfrist eingetreten.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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